punker im Jahrbuch der Geschichte

Auszug aus: 9. Jahrbuch der Geschichte der Stadt des Heidelberger Geschichtsverein

von Claudia Rink

„Die Punker“ oder „Punks“ wie man sie auch nennt, gehören mittlerweile der Geschichte an und könnten daher durchaus von Interesse sein für einen Geschichtsverein. Man trifft sie noch gelegentlich, vereinzelt auch in Heidelbergs Gassen. Der Stil jedoch ist der gleiche geblieben: Zerissene, unproportionierte Kleidung, grellbunt gefärbte und gezuckerte Haare, mit Metallketten, Rasierklingen und durch Ohren und Wangen gestochene Sicherheitsnadeln geschmückt. In ihrer (politischen) Haltung eher indifferent und diffus, mehr links als rechts, auf jeden Fall antibürgerlich. Mit der sogenannten „Punkwelle“, die 1977 in den westlichen Industriegesellschaften als eine Protestbewegung von Jugendlichen gegen Arbeitslosigkeit und Langeweile einsetzte, die ihr Ausdrucksmittel in der oben beschriebenen äußeren Aufmachung und in hektisch agressiver Rockmusik fand, hat „der punker“ (die Aussprache ist nicht Englisch) allerdings überhaupt nichts zu tun.

Wohl aber damit, dass der Ursprung des Vereins „der punker“ in einer Stadtteilzeitung „der punker – Leben in Rohrbach“ liegt, die sich als Gegenentwurf zur Rohrbacher Berichterstattung der hiesigen dominierenden Tageszeitung verstand. Hans-Jürgen Fuchs und Gernot Hois waren die Herausgeber. Die erste Ausgabe des „punker“ erschien im Spätsommer 2000 mit dem erklärten Ziel, sich „treffsicher einzumischen in die inneren Angelegenheiten des Stadtteils“. Hauptthema war (nicht zum letzten Mal) die Schulwegsicherheit und Verkehrsführung in der Rathausstraße. Die erste Veranstaltung fand dann am 14. Oktober 2000 statt, eine Aktion für mehr Verkehrssicherheit in der Rathausstraße, begleitet vom Orchester „Nachbarschaftskrach“. Wenig später am 11.11.2000 folgte die Aktion „Pappnasen für Gehwegnasen“, der erste Vorbote der späteren Pappnasen-Verleihungen.

Seit Januar 2001 ist der punker online. Unter www.derpunker.de findet der Interessierte sehr viel ausführlicher als es dem Papierpunker möglich ist und immer auf aktuellem Stand, Informationen zu Rohrbach.

Da sich die Zeitung großer Resonanz erfreute und Bewegung in festgefahrene Debatten brachte, fiel im Frühsommer 2001 die Entscheidung, einen gemeinnützigen Verein zu gründen mit dem Ziel, eine breitere Basis zu schaffen, ein breiteres Spektrum an Veranstaltungen und Themen und mehr Rohrbachern lokalpolitische Partizipationsmöglichkeiten zu bieten.

Zweck des Vereins ist es „die lokale Identität und kulturelle Vielfalt im Heidelberger Stadtteil Rohrbach“ zu fördern, „lokale Initiativen (zu) bündeln und Diskussionen über den Stadtteil betreffende Themen an(zu)regen und zu moderieren.“

So ist es dem Verein ein Anliegen Stadtteilaktionen, Diskussions- und Informationsveranstaltungen zu Themen rund um Rohrbach zu initiieren und Bereiche wie Kultur und Geschichte, Kinder, Jugendliche, Senioren, Verkehr und neue Bauvorhaben in und um Rohrbach ins öffentliche Bewußtsein zu bringen.

Der Verein ist, darauf legen seine Gründungsmitglieder und sein Vorstand Hans-Jürgen Fuchs, Gernot Hois, Ursula Röper und Renate Emer großen Wert, parteipolitisch neutral, und er will Ansprechpartner sein für alle Bewohner Rohrbachs, gleich welcher politischen Couleur, welchen Alters, welcher Weltanschauung. Er will kein Ersatz, auch keine Alternative und schon gar keine Konkurrenz zu schon bestehenden Stadtteil-Vereinen sein, sondern man will wo es möglich und nötig ist miteinander am gleichen Strang ziehen.
So gibt es häufig Überschneidungen mit Themen, die auch andere Rohrbacher Vereine wie den Stadtteilverein oder Gewerbeverein beschäftigen, und man kämpft Seite an Seite, um etwas durchzusetzen. So geschehen bei der Bebauung des ehemaligen Furukawa-Geländes (ehemals Heinrich Fuchs Waggonfabrik), wo man für die West-Rohrbacher für einen Park stritt, von dem dann noch ein Eckchen aus dem „Bermuda-Dreieck“ gerettet werden konnte.

Desweiteren erzielte man einen großen Erfolg bei der Verlegung des Wochenmarktes am Samstag vom unwirtlichen, abseitsgelegenen Kerweplatz, Achim von Arnim Platz, ins Zentrum von Rohrbach an das Rathaus. Ein Projekt, das von der Rohrbacher Bevölkerung und den Marktbetreibern mit Freude angenommen wurde und das den Mittelpunkt von Rohrbach aufwertet, gleichzeitig den Samstagseinkauf freundlicher und attraktiver gestaltet.
Ein wichtiges gemeinsames Projekt ist die Umgestaltung von Rohrbach Markt, ein seit vielen Jahren anstehendes Problem, dessen Lösung dringend nötig ist. So erarbeitete der Architekt Uwe Bellm auf Initiative des Stadtteilvereins und des punkers ein interessantes Konzept „Wider die Verödung“, wie in städtebaulicher Hinsicht die Aufenthaltsqualität dieses noch ganz den Charme der Nachkriegszeit versprühenden Dreiecks samt angrenzender Straßenzüge und Straßenbahnhaltestelle zu einem positiven urbanen Platz gemacht werden kann. Zu diesem Thema gab es etliche viel besuchte Veranstaltungen, wo es auch zu kontroverser Diskussion kam. Man darf gespannt sein auf die Veränderungen in hoffentlich nicht allzu ferner Zeit.

Ein weiteres ganz aktuelles Thema, an dem sich Stadtteilverein und Obst- und Weinbauverein zusammen mit dem „punker“ beteiligten, ist die seit einem Jahr geplante Erdgasleitung, die eine 34 Meter breite Trasse durch das Rohrbacher Feld schlagen und damit, ökologisch hochwertige Strukturen, wie Kleinparzellierung, Streuobstflächen und Weinberge, die ein Winzerdorf wie Rohrbach noch auszeichnen, zerstören würde. So stellte man unter dem Motto „Gras statt Gas“, „Hände weg vom Rohrbacher Feld“, „Weinbau statt Rohrbau“ im Juli 2004 eine Protestaktion mit Sternmarsch durch Rohrbach auf die Beine. Viele Mitglieder örtlicher Vereine waren dem Aufruf gefolgt. Die Presse berichtete ausgiebig darüber. Die RNZ meinte sogar, „seit den Bauernaufständen gegen den Bau von Mark Twain Village in den 50er Jahren habe es nicht mehr so heftige Proteste gegen Eingriffe in die Landschaft gegeben.“

Neben diesen politisch aktuellen Themen ist die Aufarbeitung von Geschichte ein ureigenes Anliegen des Rohrbacher „punkers“. Unter dem Motto „Leben in Rohrbach – erzählt“ soll die Geschichte des Stadtteils lebendig gemacht werden, Alteingesessene und Neueingefundene sollen sich hier zusammen finden und von einander erfahren.
Die erste Veranstaltung in dieser Reihe fand im Januar 2002 zur Fuchsschen Waggonfabrik, die sich auf dem späteren Furukawa-Gelände befand, statt. Zu diesem Zeitpunkt war diese gerade erst abgerissen worden und mittlerweile entsteht dort der neue Stadtteil „Quartier am Turm“. Gernot Hois, der dieses Thema ausarbeitete und in der Rohrbacher „Traube“ präsentierte, konnte sich über ein großes und höchst interessiertes Publikum freuen. Hohe Emotionen löste der Bericht aus, dass im Nationalsozialismus Zwangsarbeiter in der Fabrik wegen Brotdiebstahl erhängt wurden.
Die zweite Veranstaltung in dieser Reihe, initiiert vom punker-Mitglied Ursula Röper fand zum Thema „Jüdisches Leben in Rohrbach“ statt. Die in einer Arbeitsgruppe zusammen getragenen Materialien wurden in einer vielbeachteten Führung im März 2003 der Öffentlichkeit vorgestellt und fanden ihren schriftlichen Niederschlag im Jahrbuch des Geschichtsvereins 2003/2004 in dem Aufsatz „Jüdisches Leben in Rohrbach“.
Weitere wichtige Themen sind in Vorbereitung, regelmäßig unterstützt vom Heimatmuseum Rohrbach, vielen Zeitzeugen und hilfsbereiten Mitbürgern.

Auch der zeitgenössischen Kunst - bildende Kunst wie auch Musik - hat sich „der punker“ verschrieben. Im November 2002 fand die „Ratart“ mit Bildern von Markus Daum in den Rohrbacher Schaufenstern statt: So wurde die Rathausstraße zum ersten Mal zu einer Kunstmeile. Und im Sommer 2004 wurde in Kooperation mit der Thoraxklinik eine Ausstellung von Objekten von der in Kirchheim lebenden Künstlerin Caroline Laengerer im Foyer und im Park der Thoraxklinik eröffnet Die Kunstwerke waren bis Oktober im Park der Klinik zu besichtigen.

Musikveranstaltungen gab es bereits einige. Die erste Veranstaltung war „Sommer in Rohrbach“, im Pfälzerhof, 2001 mit „martinique“ und der Sängerin Jutta Glaeser als Gast.
Das mittlerweile schon eine kleine Tradition begründende Benefizkonzert, das jeweils im Winter zusammen mit der evangelischen Gemeinde veranstaltet, in der Melanchthon-Kirche stattfindet, - zweimal mit der Gruppe „martinique“ und in diesem Jahr gab Christoph Linhuber und Freunde ein Konzert „Klangräume“, ist und heißt ein „Licht in der Dunkelheit“. Mit dem Erlös wurden regelmäßig Projekte für ausländische Kinder unterstützt. Im vergangenen Sommer (2003) gab es die erste „Session“ unter dem Motto „Rohrbacher Musiker spielen für Rohrbacher/Innen“ im Jugendzentrum Hasenleiser. Man konnte nicht schlecht staunen, was sich da alles an guten Musikern, die im Verborgenen in Rohrbach leben, zusammen fand. Das zweite Musikereignis dieser Art, die „Rohrkultur“, fand am 3. Oktober 2004 im Roten Ochsen statt – diesmal unter Einbeziehung Alt-Rohrbacher Mundart und anderer Texte.
Zu einer weiteren Tradition scheint auch das Stadtteilfrühstück zu werden, wenn es der Wettergott denn auch immer gut mit den Rohrbachern meint.

Ein kleiner Höhepunkt am Ende des Jahres, ein mit gewisser Spannung erwartetes Ereignis ist die alljährliche Vergabe des heißbegehrten Preises „Pappnase des Jahres“. Der Preis wird verliehen für den „Verlust des Spürsinns für die Belange der Rohrbacher Bevölkerung“.
Der erste Preisträger, dem diese besondere Ehre zuteil kam, war der Baubürgermeister Raban von der Malsburg, stellvertretend für all jene, die eine Lösung der Verkehrsprobleme in der Rathausstraße verzögern, verschlafen und auf die lange Bank schieben.
Im Jahr 2002 ging der Preis an den Leiter der Gesamtbaumaßnahme auf dem Furukawa-Gelände, Herrn Joachim Wieland von „HochTief“ für die auf unerklärliche Weise verschwundenen, im Planungsverfahren jedoch artikulierten Wünsche und Vorschläge der Rohrbacher/Innen nach einem Bürgerpark oder einer Begegnungsstätte.
Für die Schließung der Bücherei in der IGH, wäre ein Preis durchaus auch angebracht. Man darf gespannt sein, wessen abhanden gekommener „Riecher“ in diesem Jahr geehrt wird.

Bis heute ist die Stadtteilzeitung „der punker“ ein wichtiges Informationsblatt für Rohrbach geblieben, allerdings eines, das seine Eigenheiten hat. Es erscheint wann es will. Es hat keine festen Themen und keine Redaktion. Es wird kostenlos verteilt und liegt dann in Rohrbacher Geschäften zum Mitnehmen bereit. Die ganze Konzeption ist somit auf Spontaneität aufgebaut. „Anregungen, Texte und Mitarbeiter natürlich auch Anzeigen und Spenden“ sind daher „hoch willkommen.“

Neben dem Papierpunker betreibt „der punker“ auch eine Website.

Natürlich ist es naheliegend bei einem Verein mit solch einem Namen die Verbindung zu der eingangs beschriebenen sozialen Jugendbewegung der 70er Jahre herzustellen und natürlich wird die Verbindung im realen Leben auch immer wieder hergestellt. Aber der Rohrbacher „punker“ hat sein Namensgeber Vorbild in einer weit in der Geschichte zurückliegenden Gestalt. Wir müssen bis ins Jahr 1430, in die Regierungszeit des Pfalzgrafen und Kurfürsten Ludwig III. zurück gehen, bis wir auf diesen historischen Punker stoßen, der ein ausgezeichneter Schütze gewesen sein soll. Seiner hervorragenden Treffsicherheit wegen hat man ihm übernatürliche Kräfte nachgesagt. Bei der Belagerung eines gewissen Schlosses Lendenbrunnen (es ist wohl die heutige Ruine Lindelbrunn bei Dahn gemeint) habe er allein fast die gesamten Verteidiger durch Pfeilschüsse getötet, wodurch der Pfalzgraf ohne eigene Verluste das Schloß erobern konnte. Als Siegestrophäe nahm Punker sich den Torring des Schlosses mit, den er an die Tür seines Hauses in Rohrbach hängte. Punker, vom Pfalzgrafen als Vogt in Rohrbach eingesetzt, soll von diesem anläßlich einer Visitation gezwungen worden sein, vom Kopf seines Sohnes eine Münze mit einem Pfeil herunterzuschießen. Er legte jedoch einen zweiten Pfeil bereit, um, wie er sagte, nach einem Fehlschuß den Pfalzgrafen zu erschießen.
Die Ähnlichkeit mit der Schweizer „Tell-Sage“ ist augenfällig. Da Punker anscheinend ein herrischer, unduldsamer Mann war, der die Bauern schikanierte und drückte, soll er von ihnen erschlagen worden sein. Diese Geschichte wird im „Malleus maleficarum“ (Der Hexenhammer) herausgegeben im Jahre 1487 erzählt (nach Frauenfeld, Rohrbach im Wandel der Zeit, 1996).
Kein rühmliches Ende fand der historische Punker, und wie der geneigte Leser sicher schon vermutet, enden hier natürlich schlagartig die Gemeinsamkeiten. Solange der Spürsinn für die Belange Rohrbachs nicht verloren geht und mit „Treffsicherheit“ für Rohrbach gestritten wird, besteht hier allerdings auch keine Gefahr.

So sei dem Verein, der in seiner kurzen Lebenszeit, bereits sehr viel Positives für Rohrbach bewirkt hat, und damit eine echte Bereicherung für den Stadtteil und dadurch natürlich auch für Heidelberg darstellt, ein langes, weiterhin sehr lebendiges und fruchtbares Leben gewünscht.