Wo Licht ist, ist auch Schatten

"Oh mein Gott, man hat hier nochmal eine ganz andere Perspektive auf die Tempel."

"Ja, es geht um das Gefühl diese Steine unter sich zu spüren."

 

-kurze Pause-

 

"Alter, wir sind solche Banausen, wir liegen auf Tempeln rum und schlafen."

 

Unser dreitägiger Besuch in Angkor Wat ist von zwiespältiger Natur.

Erster Tag:

"Wow, es ist so beeindruckend, dieser Minimalismus, diese Struktur, diese Konstruktion. Wie wurde das bloß erschaffen?"

Trotz Verfall ist die Majestät dieser Bauten unglaublich, fast greifbar. Bäume schlängeln sich über die Steine, lassen den Stein sowohl lebendig, als auch tot wirken. Leben über totem Stein.

Gleichzeitig spielt sich auf anderer Ebene die rasche Desillusionierung ab.

"Es ist heiß, so verdammt heiß. Da sind überall nur Steine. Steine und Menschen, so viele Menschen."

 

Zweiter Tag:

Der zweite Tag raubt uns wiedermal den Atem. 

Wir wandeln im Palast der Götter. Kommunizieren mit Steingesichtern, genießen die Kühle der Tempel.

Wie wurde dieses Paradies auf Erden, wie es die Kambodschaner nennen, bloß erschaffen?

Wie viele Menschen waren beteiligt?

Wie sah die bloß vor seinem Verfall aus?

Diese Liebe zur Struktur, zum Ästhetischen.

Wir baden in diesen Eindrücken, sonnen uns in der Größe dieser Monumente, genießen die Ruhe der Natur, der Umgebung.

Doch eine kleine Stimme in unserem Kopf flüstert in atemlosen Momenten:

"Das darf doch nicht wahr sein. Der zweite Tag nur voll mit Steinen, Steine über Steine. Und ich kann mich noch nicht mal mehr hin setzen, da mein Hintern vom gemieteten ein Dollar Fahrrad so weh tut! Ich hab' schon Angst vor dem Rückweg, ich will hier sterben. Und es ist so heiß!"

 

Tag drei:

Am dritten Tag widmen wir uns ganz der Schönheit des Sonnenaufgangs, sitzen auf Steinen und betrachten Angkor Wat während es langsam hell wird.

Ein Tempel schält sich aus dem Nichts. Wird langsam aus der Dunkelheit erkennbar. Die reine Natürlichkeit. Kein künstliches Licht, nur die Sonne.

Wir halten diesen Moment, um ihn ganz tief in unser' Herz zu schließen.

 

Schon fünf Stunden aber nach diesem Wunderwerk der Natur ist es vorbei.

Ein "Steine-Koller" erfasst uns. Weder weitere Tempel, noch die orange gekleideten Mönche oder die Affen für die wir uns am Vortag noch begeistern konnten, können uns noch halten.

Wir sind übersättigt. Haben genug gesehen, können und wollen nichts mehr aufnehmen.

"Keine Steine mehr, bloß keine blöden Steine mehr. Alles tut weh. Ich bin müde und will nur den verpassten Schlaf nachholen."

Und so schwingen wir uns auf die klapprigen Radgestelle und fahren zurück "nach Hause".

 

 

Die Zwiespältigkeit Angkor Wat's und dessen Tempeln äußert sich nicht nur in unseren Gedanken.

Menschen, die mit aller Macht probieren etwas zu verkaufen. Bettelnde Kinder, die einem erzählen, dass sie kein Geld für die Schule haben. Tristesse, Traurigkeit, Hilflosigkeit im Angesicht der Armut.

Uns wird ein Spiegel vor gehalten. Wir bekommen Armut präsentiert, werden angesprochen, müssen reagieren, uns positionieren und das ist schmerzhaft.

Wir bekommen eine Welt vor Augen gehalten, die man im Herzen Rohrbachs schnell vergisst.

Wir leben nun mal in einer Art Blase. Täglich nutzen wir durch unseren Lebensstil Menschen aus, werden aber damit nicht konfrontiert.

Es ist einfach ein Top bei ProMarkt zu kaufen und dessen Ursprung und Herstellungsweise zu vergessen.

Schwer wird es hingegen, wenn ein Kind vor dir steht, dir seine Englischübungen zeigt und dir dann erzählt, es habe kein Geld mehr in die Schule zugehen. Und du musst hart bleiben, ihm ins Gesicht "nein" sagen, da du weißt das dieses Geld nur eine Kluft zwischen ihm und den anderen Kindern schaffen würde und du nicht reich genug bist um ihnen allen zu helfen.

 

Diese Schule des Lebens ist umso härter, da sie in dieser atemberaubenden Schönheit stattfindet. Im Paradies auf Erden ist die Armut ein täglicher Gast.

Profaner gesagt: "Wo Licht ist, ist auch Schatten."

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