„Wo alles dunkel ist, mach Licht!”
Charly Hanenbergs „Menschenskinderlieder-Menue”
in „Licht in der Dunkelheit” (13. Januar 2013)
von Ludwig Schmidt-Herb | Fotos: Hans-Jürgen Fuchs
Immer, wenn das neue Jahr noch ganz frisch und unverbraucht ist, gibt es in Rohrbach das Konzert „Licht in der Dunkelheit”, zu dem der punker und die Evangelische Melanchthongemeinde nun schon zum zwölften Mal einluden. Und wie vor zwei Jahren war es auch wieder ein Gitarrist, der musikalisches Licht verbreitete. Diesmal aber ein singender Gitarrist, einer, der seine Lieder selbst komponiert, singt und begleitet. „Liedermacher” nannte man das früher, heute eher „singer-songwriter”.
Charly Hanenberg heißt er, er kommt vom Niederrhein, lebt jetzt in Wieblingen, hat aber, wie er selbst sagte, auch Beziehungen zu Rohrbach. Er bezeichnet sich als „Liederkellner”, und was er uns präsentierte und servierte, nannte er ein „Menue der Menschenskinderlieder”: Lieder, die von Menschen handeln, Lieder, die eingängig sind wie Kinderlieder, Lieder die Aha-Effekte auslösen und Erkenntnisse freisetzen, Lieder, bei denen man sagt: menschenskinder!
All seine Lieder seien, so sagte er uns zu Beginn, aus persönlichen Erlebnissen oder Anlässen heraus entstanden, und als Beispiel beginnt er mit seinem „Opus 3”, das er als 12-jähriger komponiert hat und das von dem Fußballer und Dribbelmeister Stan Libuda handelt, den er heiß verehrte und über den damals der Spruch umging: „An Gott kommt niemand vorbei. Außer Stan Libuda”. Das habe ihm so gefallen, dass ein Lied daraus wurde.
Eins seiner neueren Lieder habe er erst vor kurzem zu seinem 50. Geburtstag gemacht: „Götter und Götzen”, als Denkmal für all die geistig-musikalischen Heroen, die ihm Leitbild, Mentor und Impulsgeber waren. Hermann Hesse und die Beatles nennt er, Bob Dylan und Elvis, Biermann, Böll und Brecht, aber auch Mozart und Bach und viele andere, die ihm beim Dichten und Komponieren den Weg freigemacht haben: „Auf meiner Gitarre spürte ich ihnen nach”, und man konnte dabei hören, dass dies auf der Basis einer klassischen Gitarristenausbildung geschah.
In weiteren Liedern besang Charly Hanenberg Stationen seines Lebens, so den 80. Geburtstag seines Vaters und das Staunen darüber, dass er, Charly, als Spross dieses alten Baumes inzwischen selbst zum Baum herangereift sei, aber auch den Ausspruch seines Vaters, der angesichts des Elends und der Einsamkeit alter Menschen im christlich geführten Altenheim ausruft: „Ich glaube an Gott, aber nicht ans Bodenpersonal”, wozu dann in die letzten Töne, melodisch und rhythmisch exakt passend, ein Handy im Raum klingelte. Charly stutzet, staunte und – lächelte dazu.
In einem Liebeslied gesteht er seiner damaligen Freundin und heutigen Frau Doro: „Nah genug kannst ja immer nur Du sein!”, und wendet sofort ein: „nein, ich!”. In seinem „drittjüngsten Song (Opus 288)” schildert er die Visionen eines einsamen Radfahrers auf dem Weg von Wieblingen nach Rohrbach, und zwar in allerfeinster Max-Raabe-Manier.
Ein alter Birnbaum, der fast keine Früchte mehr trägt, inspiriert ihn erst zu einem Gedicht, dann zu einem Lied über Nützlichkeit und Vergänglichkeit im Leben.
Bei seiner Arbeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie lernt er den 12-jährigen Franz kennen, der zwar nicht lesen und schreiben konnte, dessen Augen aber leuchteten, wenn er ein Hölderlin-Gedicht oder ein Märchen vorgelesen bekommt, und der lacht, wenn man ihm ein Lied auf der Gitarre vorspielt.
Im Lied von der 6-köpfigen gutbürgerlichen Familie schildert er aus Sicht der 7-jährigen Tochter, wie sie abends vom Familientisch weg ins Bett muss und dort von Groß-sein phantasiert und von einer Villa Kunterbunt mit unendlich vielen Tieren.
Und schließlich das etwas deftige, in Hannes-Wader-Manier gespielte Lied vom „Bad am Samstag”, in dem er bekennt, dass es für ihn manchmal wie eine Befreiung wäre, dem anderen heimlich ins Badewasser zu kotzen, zu pissen oder gar zu scheißen, denn dann wäre der ganze Frust, der die Beziehung oder Freundschaft unausgesprochen belastet, heraus, und alles könnte so weitergehen wie bisher.
Leider war die Akustik in der nicht ganz vollen Kirche etwas verhallt, so dass bei der Charlies Texte schlecht zu verstehen waren, besonders in den hinteren Reihen. Deshalb verließen einige Besucher in der Pause das Konzert, andere rückten weiter vor auf die frei gewordenen Plätze. Aber nachdem die Lautstärke neu geregelt und die Lautsprecher etwas höher platziert waren, konnte man ihn wesentlich besser verstehen in der zweiten Konzerthälfte.
Die begann mit der Tischrede eines 70-jährigen, der auf die Melodie von „My Way” sein Leben Revue passieren läßt und zu den Fazit kommt: „Jetzt bin ich da: auf meine Weise”.
Drei Kuss-Geschichten aus seinem Leben schildert er im nächsten Lied: den traumhaft-schüchternen ersten Kuss des 8-jährigen, dann die Freundschaft mit Anita, der um einen halben Kopf größeren Mexikanerin, die er nur vom erhöhten Bordstein aus küssen durfte, und schließlich eine Taxifahrt in den Wald, die in einem langen Kuss endete.
Dann das „Wetterhäuschen”-Lied, das von unmotivierten Stimmungsumschwüngen singt und in den sich „grau” reimt auf „himmelblau” – Fukushima (er singt: „Fuck-you-shima”) verarbeitet er mit seinem 12-jährigen Sohn „karfreitags daheim auf der Blumenwies' “ beim Seelen-Baumeln.
2 Lieder erinnern an seine Herkunft vom Land und an zwei für ihn beeindruckende Menschen: Onkel Hein mit seinem McCormick-Trecker und die laute Patentante Mia mit den Herz auf dem rechten Fleck.
Das kranke Kind, für das der Urlaub ausfällt, besingt als „Häschen in der Grube” in 3 moll-Strophen sein trauriges Schicksal, bis es sich doch besinnt und in einer Dur-Strophe fröhlich aus dem Lied hüpft.
Es folgen zwei Stücke des amerikanischen Gitarristen David Qualey, die Charly „mit Text und Stimme begleitet” und schließlich das Lied von „Rosa Zettel”, den seine Frau ihm immer schreibt, wenn sie auf Kur ist. Darauf steht für jeden Tag eine kleine Ermunterung, Erinnerung oder Aufgabe, damit er spürt: „Ich lieb' Dich!!”.
Zum Abschluss des Konzerts bekam Charly Verstärkung von seiner Frau Doro und von Anne Kloos (sie singen zusammen im Allerwelts-Chor), und gemeinsam sangen sie den „Chapeau”-Kanon, eine Hommage auf ein Foto, das einen großen Strohhut zeigt, unter dem auch Doro ein bisschen zu sehen ist. Mit dem wunderschönen dreistimmigem Satz „Prayer” klang der Abend schließlich aus. Nein, nicht ganz! Als Zugabe sang Charly noch ein Lied von Konstantin Wecker, in dem dazu aufgefordert wird, mutig das zu tun, was keiner sonst tut. Das Lied schließt, passend zum Thema der Veranstaltung (Licht in der Dunkelheit): „Was keiner wagt, das sollst du wagen! Wo alles dunkel ist, mach Licht!”. Damit war alles gesagt. Und gesungen.
Und zu guter Letzt: Licht in der Dunkelheit ist ja ein Benefizkonzert. Diesmal kommen die Ökumenische Nachbarschaftshilfe und das Ökumenische Frühstück für Bedürftige in den Genuss der Spenden in Höhe von 266 Euro. punker und Evangelische Melanchthongemeinde danken Charly Hanenberg für sein schönes Konzert und allen Spendern!