Der Islam hat viele Gesichter - Die Würde des Menschen

Bericht: Mirjam Mohr / Bilder: Nora Wohlfarth

Die zweite Veranstaltung der Reihe „Der Islam hat viele Gesichter“ brachte lebhafte Diskussionen und interessante Erkenntnisse

files/bilder/2017/2017_11_ Der_Islam_hat_viele Gesichter_Teil_2/plakat_klein.JPGReligion, Emanzipation, Kopftuch und Menschwürde – um diese Themen drehte sich am 30. November 2017 die zweite Veranstaltung der Reihe „Der Islam hat viele Gesichter – was befremdet uns, was verbindet uns“. Erneut hatte die AG-Asyl – Rohrbach sagt JA gemeinsam mit dem punker e.V. ins Alte Rathaus eingeladen – diesmal berichteten ein schon länger in Deutschland heimischer Syrer und zwei vor dem Krieg geflüchtete Syrerinnen aus ihrem Leben und ihren Erfahrungen in Syrien, auf der Flucht vor dem Krieg sowie in Deutschland und mit den Deutschen. Rund 40 Zuhörer waren gekommen, um mit den dreien teilweise durchaus kontrovers zu diskutieren.

Yahya Madani kam bereits 1989 aus Syrien nach Heidelberg und übte verschiedene Berufe aus, unter anderem arbeitete er als freier Journalist für den WDR. Nachdem er zwischenzeitlich wieder in sein Heimatland gezogen war, kam er Ende 2011 zurück nach Deutschland. Nourhan Hadidi und ihre Mutter Iman Karboutli kamen Ende 2015 als Kriegsflüchtlinge nach Deutschland, landeten zunächst in Passau und anschließend in Dresden, bevor es ihnen gelang, nach Heidelberg zu ziehen, wo Yahya Madani, den sie aus Syrien kennen, inzwischen wieder lebt.

Die punker-Vorsitzende Valentina Schenk, die sich gleichermaßen in der AG Asyl engagiert, begrüßte für beide Veranstalter die Gäste und Zuhörer und erklärte Hintergrund und Anliegen der Veranstaltungsreihe. Die Moderation übernahmen wieder Annette Goerlich und Jürgen Ripplinger, als Dolmetscher unterstützte zudem Ahmad Muhamad, der ebenfalls vor dem Krieg in Syrien nach Deutschland flüchtete, die beiden Frauen. Denn das ist eine der Erfahrungen als Geflüchtete, mit denen beide nicht rechneten: „Wir haben nicht erwartet, dass uns das Deutschlernen so schwerfallen würde“, sagte Iman Karboutli. Dass sie aufgrund ihrer fehlenden Deutschkenntnisse auch nicht arbeiten können, belastet Mutter und Tochter – schließlich waren beide in Syrien berufstätig.

Die Situation syrischer Frauen vor und während des Kriegs war auch das, was die Zuhörer besonders interessierte. Nourhan Hadidi, die in Damaskus aufwuchs und nach einem Anglistikstudium für eine NGO arbeitete, berichtete, dass es Akademikerinnen sehr gut ging, dass sie gleichberechtigt gewesen seien und weder Herkunft noch Religion eine Rolle gespielt hätten. Doch mit dem Krieg habe sich diese Situation verändert, durch den IS habe auch das Kopftuch eine andere Rolle bekommen, das nun viele Frauen aus Sicherheitsgründen trügen. Dieses Thema sorgte dann auch für eine lebhafte und teilweise sehr emotionale Diskussion mit zwei Zuhörern, die dem Kopftuchtragen in Deutschland sehr kritisch gegenüberstehen und dies deutlich zum Ausdruck brachten – obwohl keine der beiden Syrerinnen ein Kopftuch trug.

Insgesamt brachte der Abend den Teilnehmern interessante Erkenntnisse über in Deutschland bereits verwurzelte Muslime sowie Neuankömmlinge muslimischen Glaubens, die sich erst in Deutschland zurechtfinden müssen. So berichtete Yahya Madani, dass sich das Thema Religion für ihn durch die die zunehmende Vereinnahmung durch Islamisten durchaus geändert habe: Während seine Religion früher für ihn vor allem eine Bedeutung als Ethik gehabt habe, als Frage wie man zu Gott stehe und wie man mit anderen umgehe, spiele nun leider der Aspekt der Gewalt eine immer größere Rolle. Überraschend war für viele, dass die beiden Frauen, die durchaus die Vorbehalte bemerken, die manche Deutsche ihnen entgegenbringen und die sie vor allem auch während ihrer Zeit in Dresden zu spüren bekamen, dennoch erstmals das Gefühl haben, „in meiner Würde als Mensch akzeptiert zu werden“, wie sie sagten. In Syrien hätten sie zwar alle Möglichkeiten gehabt, dennoch habe aber das Regime die Kontrolle über alles gehabt – und das sei in Deutschland anders. „Mein Ziel ist es, eine Bürgerin Deutschlands zu werden, zu arbeiten und Steuern zu zahlen. Und ich glaube auch, dass der Staat mich annehmen wird“, erklärte Nourhan Hadidi.

Wie bereits bei der ersten Veranstaltung endete der Abend wieder mit Gesprächen in kleiner Runde bei arabischen Leckereien. Dass auch die beiden „Kopftuchgegner“ blieben und eifrig weiter diskutierten, zeigt, dass das Ziel der Veranstaltungsreihe sich erfüllte: Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen – auch wenn sie sehr gegensätzliche Ansichten haben.

Der Islam hat viele Gesichter – Ein Abend mit Ibrahim Ethem Ebrem

Bericht: Mirjam Mohr / Bilder: Nora Wohlfarth
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„Der Islam hat viele Gesichter – was befremdet uns, was verbindet uns“- unter diesem Motto steht eine neue Veranstaltungsreihe, die die AG-Asyl – Rohrbach sagt JA gemeinsam mit dem punker e.V. ins Leben gerufen hat. Zum Auftakt der Reihe, die sich an interessierte Bürgerinnen und Bürger aus Rohrbach, aber auch aus anderen Stadtteilen Heidelbergs richtet, luden die Veranstalter am 12. Oktober 2017 ins Alte Rathaus zu einem Gespräch mit Ibrahim Ethem Ebrem ein. Der in Heidelberg aufgewachsene Autor und Referent der politischen Bildung mit familiären Wurzeln in der Türkei kann kompetent über verschiedene Aspekte islamischen Lebens und Zusammenlebens in Deutschland berichten: Er hat sowohl katholische als auch islamische Theologie studiert, ist unter anderem Steuerungsmitglied des Zukunftsforums Islam der Bundeszentrale für politische Bildung sowie Mitbegründer der von Heidelberger Musliminnen und Muslimen ins Leben gerufenen Initiative „Teilseiend“ und arbeitet mit beim Heidelberger Präventionsprojekt gegen Radikalisierung an Schulen.

Extremismus, Kriminalität und Parallelgesellschaften - damit wird der Islam häufig in Verbindung gebracht. Warum ist das so – und was denken Muslime darüber, die diese Extreme ablehnen?Wie sieht ihr Alltagsleben aus und wie sehen sie das Zusammenleben mit nichtmuslimischen Deutschen und Menschen anderer Nationalitäten? Was ist nötig, um das von Extremen bestimmte Bild, das viele vom Islam haben, zu ändern? Fragen dieser Art will die Veranstaltungsreihe nachgehen – und stößt damit offenbar auch auf großes Interesse bei der Bevölkerung: Zur Auftaktveranstaltung kamen rund 60 interessierte Bürger, die nicht nur dem von Annette Goerlich und Jürgen Ripplinger moderierten Gespräch mit Ibrahim Ebrem folgten, sondern sich auch gerne daran beteiligten. Denn die Veranstaltungen der Reihe sind  nicht als eine Art Podiumsdiskussion gedacht - die kreisförmige Sitzanordnung soll es jedem ermöglichen, nicht nur im Außenkreis der Diskussion zu folgen, sondern auch im Wechsel im Innenkreis Platz zu nehmen, Fragen zu stellen und mitzudiskutieren.

Ibrahim Ebrem gab zunächst einen Einblick in seine Erfahrungen als in Deutschland geborener und aufgewachsener Muslim – er bezeichnet sich selbst als konservativen Muslim - mit türkischen, armenischen, kurdischen und persischen Wurzeln. „Ich bin Heidelberger!“, stellte er gleich zu Beginn klar. Mit Anfang 20 nahm er die deutsche Staatsbürgerschaft an, wies aber deutlich darauf hin, dass „Identität und Zugehörigkeit nichts sind, was einfach so gegeben ist“. Wichtig war es Ebrem vor allem, auf die Vielfalt des Islams hinzuweisen, der selbst in Deutschland nicht ein einheitliches Erscheinungsbild habe, sondern kunterbunt sei: „Wir haben hier Türken, Bosnier, Nordafrikaner, Pakistani, Menschen aus dem mittleren Osten – sie alle bringen unterschiedliche Kulturen mit.Gleichzeitig wandeln sich der Islam und muslimisches Leben immer mit der Kultur, in der man lebt.“ In Deutschland habe es aber trotz einer inzwischen rund 60-jährigen gemeinsamen Geschichte bisher noch keine Wechselwirkung zwischen dem Islam und der deutschen Kultur gegeben.

Ebrem wies darauf hin, dass es mit den Terroranschlägen des 11. September 2001 auch in Deutschland einen Paradigmenwechsel gegeben habe. Zuvor habe die Religion der türkischen Gastarbeiter keine große Rolle gespielt, danach seien diese plötzlich als Muslime wahrgenommen worden. Seither auftretende Probleme mit dem Islam seien aber eigentlich nie religiöse, sondern tatsächlich politische Probleme. Aus der Erfahrung seiner eigenen Arbeit gab Ebrem zudem Einblicke in die extremistische Szene, die ebenfalls von großen Unterschieden geprägt sei und sich auch in ihrer Einstellung zu Gewalt unterscheide. Auch dort gelte: „Wenn sich junge Leute emotionalisieren lassen und dann radikalisieren, hat das meistens keine religiösen Gründe, sondern politische.“ Er selbst habe in seiner Jugend kurzzeitig einen mit dem Salafismus zusammenhängenden Radikalisierungsprozess mitgemacht, habe aber dann zum Glück erkannt, „dass das was falsch läuft“. Abschließend wies er noch darauf hin, dass beide Heidelberger Moscheen in Industriegebieten und damit am Rand Heidelbergs angesiedelt seien - „aber wir fühlen uns als Heidelberger“

Im Anschluss entwickelte sich eine lebendige Diskussion über Fragen, die die Besucher der Veranstaltung an Ibrahim Ebrem hatten. Dabei ging es beispielsweise darum, welche Verantwortung Muslime selbst bei Radikalisierungen innerhalb ihrer Gemeinschaft haben, ob Muslime sich gegen Ungläubige zur Wehr setzen müssen oder ob muslimische Kindergärten in Deutschland in Ordnung sind – und ob auch evangelische und katholische Kinder diese besuchen dürfen. Zwei Quintessenzen der Diskussion: „Jeder Bürger hat eine Gesamtverantwortung, gegen Radikalisierung vorzugehen – nicht nur Muslime“ und „Wir müssen lernen, einander zu vertrauen.“ Auch noch nach dem Ende der Diskussion gingen die Gespräche in kleiner Runde weiter - bei arabischen Leckereien, Tee und Wein.

Die nächste Veranstaltung der Reihe „Der Islam hat viele Gesichter“ findet am 30. November wieder im Alten Rathaus statt. Gesprächspartner sind dann drei Mitglieder einer syrischen Familie, die lange in Deutschland gelebt hat, dann nach Syrien zurückging und als Folge des Kriegs nun wieder in Deutschland lebt. Für diese Veranstaltung konnten die Besucher am 12. Oktober bereits Fragen aufschreiben, die dann auch Thema sein werden.