Manche Märchen werden nicht wahr. Zum Glück
von Hans-Jürgen Fuchs
„Und so kam der Tag, an dem die Oleander weichen mussten …” So begann das Ende eines Märchens, das keines war. Und zum Glück auch nicht wahr wurde. Denn: Die Oleander dürfen bleiben! (Und die Orleander auch. Und die Olander sowieso!).
Das ist nun amtlich. Letzte Woche erhielten die Oleanderhalter die glückliche Nachricht, die Stadt erteile eine Sondererlaubnis, die Blumenkübel stehen zu lassen. Damit hatten unsere Bemühungen Erfolg: Stefan Richters Hinweise auf die Lage in anderen Städten und die Heidelberger Satzung für die Sondernutzungsgebühren halfen dabei und nicht zuletzt das Engagement des Stadteilvereinsvorsitzenden Frauenfeld. Wir freuen uns und bedanken uns bei allen, die sich engagierten und bei Frau Bayer ebenso. Für ihre Bemühungen – und ihr Wohlwollen.
Lohn des Engagements …
(K)ein Märchen von Hans-Jürgen Fuchs
Es war einmal ein kleines schönes Dörflein inmitten wunderbarster Weinberge und durchflossen von einem murmelnden Bächlein, das dem Dörflein seinen Namen gegeben hatte. Schöne Häuser säumten die Straßen und Menschen aus Nah und Fern strömten in die Gasthäuser des kleinen Weilers.
D.h., sooo klein war es nun auch nicht mehr. Und die Weinberge waren natürlich wunderbar, aber immer mehr Straßen durchzogen sie. Und das Bächlein? Das murmelte inzwischen unter der Erde in einem kalten Kanal.
Schön war das Dörflein immer noch, aber nicht so, dass es nicht NOCH schöner hätte werden können. Und zum Glück gab es Menschen, die sich um das Dörflein kümmerten. Sie wollten zum Beispiel, dass das Bächlein wieder im Sonnenlicht glitzern kann. Aber dafür hätten ein paar Parkplätze weichen müssen, was andere Dorfbewohner gar nicht mochten. Also blieb das Bächlein im Verborgenen und dem Dörflein fehlte ein Teil seiner Schönheit.
Aber zum Glück gab es Menschen, die sich um das Dörflein kümmerten und nicht aufgaben. Sie taten alles, um das Dörflein noch schöner zu machen, berankten ihre Häuser, setzten Weinstöcke für grüne Brücken und stellten Pflanztöpfe mit großen blühenden Oleandern vor die Tür. Wobei sie sorgsam darauf achteten, dass sie keinen der geliebten Parkplätze belegten. Wunderschön dufteten die Oleander, und Passanten aus Nah und Fern waren voll des Lobes. Und noch mehr Menschen strömten in die Gasthäuser des Dorfes. Weil es so schön war.
Doch inmitten des Dörflein gab es auch Menschen, denen Schönheit ein Graus war. Was wucherte und blühte, stach ihnen schmerzhaft ins Auge. Und weil sie es selbst nicht mochten, sollten auch alle anderen keine Freude an den schönen Pflanzen haben. Also riefen Sie nach dem Wachtmeister und sprachen: „Was, wenn alle das täten? Dann wäre unser Dörflein ja voller duftender, blühender, grünender, rankender Schönheit. Welch ein Graus! Und wo sollen dann all die Autos der Menschen stehen, die aus Fern und Nah herbeiströmen, um unser Dörflein zu sehen?”
Der Wachtmeister konnte das eigentlich nicht verstehen. Auch er fand die Oleander eigentlich ganz schön. Aber er war halt der Wachtmeister. Und im Buch der Stadt stand, dass man nicht einfach etwas auf die Straße stellen darf, und sei es noch so schön. Und als die Menschen, denen Schönheit ein Graus war, immer und immer wieder schimpften, da schrieb der Wachtmeister einen Brief. „Bitte entfernen Sie die Pflanzen umgehend”, schrieb er, „wir müssen weitere Schritte unternehmen, falls das bis Ende der Woche nicht erledigt ist". Das Herz blutete ihm ein bisschen, als er den Brief einwarf. Aber er war halt der Wachtmeister und musste sich an das Recht der Stadt halten.
Und so kam der Tag, an dem die Oleander weichen mussten. Voller Trauer strömten die Menschen herbei. Sie trugen Stühle in der Hand, setzten sich rund um die Oleander und stimmten ein großes Wehklagen an. Die Blaskapelle des Dörfleins stimmte Trauermärsche an und es flossen Tränen und Wein.
Dann waren sie fort, die duftenden Pflanzen. Die Sonne brannte gnadenlos auf den Asphalt. Dem Recht war genüge getan. Doch die Menschen aus Nah und Fern fanden das Dörflein nun weniger schön. Immer noch strömten sie in die Gaststätten. Aber am liebsten parkten sie ihre Autos nun noch näher an den Gaststätten. Warum hätte man auch durch die Straßen des Dörfleins laufen sollen? Sicher nicht wegen der Blumenkübel, die die Stadt einst aufgestellt und vergessen hatte und die nun ungeliebt vor sich hin dorrten.
Die Bewohner des Dörfleins aber beschlossen, nicht aufzugeben, sondern weiter für ein noch schöneres Dörflein zu kämpfen, denn unter dem Pflaster liegt schließlich der Strand …
Noch stehen sie, die Pflanzen. Doch leider ist alles an diesem Märchen wahr: Die Oleander in der Rathaustraße müssen in den nächsten Tagen tatsächlich verschwinden. Das schafft zwar keinen Parkplatz, denn vor Einfahrten darf man nun mal nicht parken, tut aber dem Recht genüge. Wir jedenfalls wollen die Oleander zu ihrem neuen Platz begleiten. Wann genau das sein wird, erfahren Sie über unseren Newsletter. Geben wir unserer Trauer Ausdruck! Und auch unserer Wut: Diejenigen, die uns allen ein Stück schönes Rohrbach nehmen wollen – sie sollten sich schämen!