Pressemitteilung des Asylarbeitskreis Heidelberg, der AG Asyl Rohrbach sagt ja und des Punker
Die Stadt Heidelberg hat die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an Ruzdi und Safidina Ramadani und deren vier Kinder abgelehnt! Sie hätte noch die Möglichkeit, dem Widerspruch abzuhelfen, das heißt: die Aufenthaltserlaubnis doch noch zu erteilen!
Viele Heidelbergerinnen und Heidelberger haben sich in den letzten Monaten vehement für die Familie Ramadani eingesetzt, darunter nicht wenige Prominente. Hunderte von Unterschriften wurden gesammelt. Eine Familie, die über 6 Jahre hier lebt, deren Eltern gerade Arbeitsplätze gefunden haben und damit die Familie selbstständig ernähren könnten, deren Kinder hier aufgewachsen und zum Teil hier geboren sind, die völlig integriert sind – wie kann man die abschieben?
Abschieben in ein Land, in dem sie als Roma erwiesenermaßen keine Chance haben, sondern rassistischer Diskriminierung ausgesetzt sind?
In Serbien gehen nur vier Prozent der Roma-Kinder in den Kindergarten, 76 Prozent der Kinder gehen in die Grundschule, von ihnen erreichen aber gerade einmal 13 Prozent einen Abschluss. 97 Prozent der Roma im arbeitsfähigen Alter sind arbeitslos, die wenigen Roma in festen Arbeitsverhältnissen leisten schwere physische und schmutzige Arbeit.
Roma werden in Serbien systematisch ausgegrenzt, und vor allem bekommen sie Willkür und Korruption zu spüren. Zusätzlich zu den Umstrukturierungen von Wirtschaft und Gesellschaft, von denen in Serbien alle Bevölkerungsgruppen betroffen sind, leiden Roma unter einem „massiven Rassismus, der seit Jahren von rechtsradikalen Parteien systematisch geschürt wird, der auf einem oftmals massiven Hass gegen Roma beruht, und der inzwischen weit in der Mitte der Gesellschaft akzeptiert ist“, wie Herbert Heuß, Wissenschaftlicher Leiter des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, schreibt. „Dieser Rassismus bestimmt die Lebenswirklichkeit vieler Roma, er zeigt sich in der systematischen Ausgrenzung vom Zugang zu Bildung, Wohnen, Gesundheit und Arbeit. (…) Diese desolate Situation, die vielen Roma nicht die geringste Perspektive in ihren Heimatländern bietet, bildet den dauernden Hintergrund für die aktuelle wie die zukünftige Migration.“
Das Land Baden-Württemberg, das einerseits Antidiskriminierungs- und Antiziganismus-Projekte finanziert, schiebt andererseits Roma – Familien seit Jahren systematisch ab.
Die Stadt Heidelberg hätte hier ein positives Beispiel geben können, indem sie eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 b erteilt hätte, was rechtlich möglich gewesen wäre.
Aber die Ausländerbehörde mit Integrationsbürgermeister Erichson an der Spitze stellte sich stur. Anfangs wurde behauptet, der Stadt seien die Hände gebunden, dann: es gebe keinerlei Ermessensspielraum. Festzuhalten ist: der politische Wille und die menschliche Größe haben gefehlt, vier Heidelberger Kindern und ihren Eltern die Chance zu geben, hier zu leben und zu arbeiten. Eine Niederlage für die Menschenrechte und die Demokratie - es sei denn, die Stadt lenkt noch ein und erteilt doch noch die Aufenthaltserlaubnis. Dazu rufen wir Oberbürgermeister Würzner, Bügermeister Erichson und die Ausländerbehörde auf!
Heidelberg, den 3.5.2018
Offener Brief gegen Abschiebung von Roma und Sinti aus Rohrbach und anderen Gemeinden Baden-Württembergs
OFFENER BRIEF an
die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer
die baden-württembergische Landtagsfraktion der Grünen
den baden-württembergischen Landesverband der Grünen
Sehr geehrte Frau Bauer,
sehr geehrte Damen und Herren,
im vergangenen Jahr nahm an der Universität Heidelberg die Forschungsstelle Antiziganismus ihre Arbeit auf. Die bundesweit erste Einrichtung dieser Art widmet sich in historischer Perspektive dem Thema der Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung von Sinti und Roma, wobei die Erkenntnisse aus der Forschungsarbeit auch der Präventionsarbeit dienen sollen. Die Einrichtung dieser Forschungsstelle geht auf einen Staatsvertrag zurück, den das Land Baden-Württemberg im November 2013 mit dem Landesverband Baden-Württemberg im Verband Deutscher Sinti und Roma geschlossen hat. Das Wissenschaftsministerium des Landes unter der Grünen-Politikerin und Heidelberger Landtagsabgeordneten Theresia Bauer finanziert die Forschungsstelle mit jährlich rund 220.000 Euro.
Wir begrüßen die Einrichtung einer solchen Forschungsstelle ausdrücklich – ebenso wie die Unterstützung durch die Landesregierung. Wir verstehen allerdings nicht, warum die aktive Politik der gleichen Landesregierung an anderer Stelle genau das gegenteilige Ziel verfolgt – nämlich Roma wider besseres Wissen der Ausgrenzung und Diskriminierung auszuliefern. Allein am 17. Januar dieses Jahres wurden nach Angaben der „Aktion Bleiberecht“ mit einer Sammelabschiebung insgesamt 67 Menschen, darunter 52 Roma, von Baden-Baden nach Serbien und Mazedonien geflogen und dort ihrem Schicksal überlassen – 36 davon waren Kinder unter 14 Jahren.
Welches Schicksal sie erwartet, kann man in zahlreichen Berichten nachlesen. Roma in Serbien „leben in Slums, die es nicht gibt, in Straßen, die es nicht gibt, in Hütten, die keine Hausnummer haben. Die hier geborenen Kinder gibt es nicht, weil sie an einem Ort geboren sind, den es nicht gibt, und diesen Ort gibt es nicht, weil er in keinem Katasteramt verzeichnet ist und offiziell nicht existiert“ – so beschreibt die Journalistin Ljiljana Stanojevic die Lage der Roma in Serbien. Nach Angaben der gemeinnützigen Non-Profit-Organisation YUROM, die sich für die Integration der Roma in Serbien einsetzt, sind 99 Prozent der fast 600 Roma-Elendssiedlungen illegal, ein erheblicher Teil davon besteht seit mehr als 45 Jahren. 76 Prozent der Roma-Haushalte in Serbien sind demnach nicht an die Kanalisation angeschlossen, 37 Prozent haben keinen angemessenen Zugang zu Trinkwasser, 11 Prozent keinen Zugang zu Strom. Nur vier Prozent der Roma-Kinder gehen in den Kindergarten, 76 Prozent der Kinder gehen in die Grundschule, von ihnen erreichen aber gerade einmal 13 Prozent einen Abschluss. 97 Prozent der Roma im arbeitsfähigen Alter sind arbeitslos, die wenigen Roma in festen Arbeitsverhältnissen leisten schwere physische und schmutzige Arbeit.
Roma werden in Serbien systematisch ausgegrenzt, und vor allem sie bekommen Willkür und Korruption zu spüren. Zusätzlich zu den Umstrukturierungen von Wirtschaft und Gesellschaft, von denen in Serbien alle Bevölkerungsgruppen betroffen sind, leiden Roma unter einem „massiven Rassismus, der seit Jahren von rechtsradikalen Parteien systematisch geschürt wird, der auf einem oftmals massiven Hass gegen Roma beruht, und der inzwischen weit in der Mitte der Gesellschaft akzeptiert ist“, wie Herbert Heuß, Wissenschaftlicher Leiter des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, schreibt. „Dieser Rassismus bestimmt die Lebenswirklichkeit vieler Roma, er zeigt sich in der systematischen Ausgrenzung vom Zugang zu Bildung, Wohnen, Gesundheit und Arbeit. (…) Diese desolate Situation, die vielen Roma nicht die geringste Perspektive in ihren Heimatländern bietet, bildet den dauernden Hintergrund für die aktuelle wie die zukünftige Migration.“
Vor diesem Hintergrund kam die Roma-Familie Ramadani aus Serbien nach Deutschland. Sie lebte mehr als sechs Jahre in Heidelberg, zwei der insgesamt vier Kinder im Alter von sieben, sechs und drei Jahren wurden dort geboren, die beiden ältesten Zwillingsmädchen noch in Serbien. Die Kinder besuchten Grundschule und Kindergarten, die Familie war im Stadtteil eingebunden und unternahm mit Unterstützung mehrerer Helfer aus dem Stadtteil und den ebenfalls in Heidelberg lebenden Eltern und Geschwistern des Familienvaters Ruzdi Ramadani durch eigene Ausbildung und Förderung der Kinder nach Kräften das Mögliche, um sich eine solide Zukunft in Deutschland aufzubauen. Ruzdi Ramadani war in den letzten zwei Jahren in Ausbildung und wollte zuletzt, wie kurz zuvor bereits seine Frau Safidina, einen neuen Arbeitsplatz antreten – die Vertragsunterzeichnung sollte am 17. Januar 2018 erfolgen. Doch die Familie Ramadani gehört zu den Roma, die am 17. Januar nach Serbien abgeschoben wurden – in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, die vor allem die vier kleinen Kinder, aber auch die Eltern als traumatisch erlebten, und die sie nun unversehens zurück in die oben beschriebene Situation katapultiert hat, ohne jede Chance auf irgendeine Hilfe vor Ort.
Seither haben sich sehr viele Menschen nicht nur in Heidelberg dafür eingesetzt, dass die Stadt der Familie die Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Aufenthaltsgesetz erteilt, wofür sämtliche Voraussetzungen erfüllt sind. Ruzdi Ramadanis Arbeitsplatz wird zurzeit noch von seinem potenziellen Arbeitgeber für ihn freigehalten, so dass die Familie aus eigener Kraft für ihren Lebensunterhalt sorgen könnte. Doch die Stadt hat sich verschanzt und auch einen Vermittlungsversuch des Heidelberger SPD-Bundestagsabgeordneten Lothar Binding abgelehnt, der dem zuständigen Regierungspräsidium Karlsruhe vorgeschlagen hatte, der Familie eine Art „Aufenthaltserlaubnis auf Probe“ zu erteilen. Es bleibt der Eindruck, dass die Stadt Heidelberg in den vergangenen Wochen mehr Energie darauf verwendet hat, eine vermeintliche Integrationsunwilligkeit des Familienvaters nachzuweisen, als tatsächlich eine Möglichkeit für eine Rückkehr der Familie zu finden. Das steht in einem eklatanten Widerspruch zum gerade erst gegründeten Antidiskriminierungsnetzwerk der Stadt, das Mitte März ausgerechnet im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma vorgestellt wurde.
Die Familie Ramadani ist nur eine von vielen Roma-Familien – aber sie waren unsere Nachbarn und Freunde. Unabhängig davon, was hinter den Kulissen an politischem Einsatz für sie geschehen sein mag – Fakt ist, dass die Landesregierung unter grüner Führung regelmäßig Angehörige der gefährdeten Minderheit der Roma abschiebt und diese Abschiebungen somit offenbar einem System folgen. Wie Deutschland „sicherer“ oder auch nur „gerechter“ werden soll, indem man Menschen – darunter zahlreiche Kinder – abschiebt, die noch nicht einmal ansatzweise unter dem Verdacht stehen, islamistische Gefährder zu sein oder auf sonstige Art und Weise die Sicherheit Deutschlands zu gefährden, auf die allerdings in Serbien ein menschenunwürdiges Leben wartet, entzieht sich unserer Vorstellungskraft – wir können lediglich erkennen, dass damit Zielvorgaben bei Abschiebungszahlen schneller erreicht werden und somit die von Landesinnenminister Thomas Strobl angekündigte „Härte“ demonstriert werden kann – leider ohne das gleichfalls angekündigte „Herz“. Ebenfalls erkennen können wir, dass das mantra-artige Beharren auf der Behauptung, Familienvater Ruzdi Ramadani sei integrations- und arbeitsunwillig (was auch immer wieder von Grünen-Politikern vorgetragen wird), obwohl die Menschen in seinem persönlichen Umfeld zu einer anderen Einschätzung kommen, vor allem eine ganz bestimmte Wirkung erzielt, wie sich deutlich an den Leserkommentaren in der „Rhein-Neckar-Zeitung“ unter Berichten zu Familie Ramadani ablesen lässt: Dass in der Bevölkerung das jahrhundertealte Stereotyp des „arbeitsscheuen Gesindels“ bestätigt wird und sich verfestigt – ein hervorragendes Forschungsfeld für die neue Forschungsstelle Antiziganismus. Desweiteren erschließt sich uns nicht, warum die Ehefrau und die vier kleinen Kinder von Ruzdi Ramadani für dessen – ob zu Recht oder zu Unrecht kritisiertes – Verhalten quasi in Sippenhaft genommen werden. Als Grund für eine derartige Abschiebung als Gruppe wird erstaunlicherweise genau die familiäre Zusammengehörigkeit angeführt, die mit der Aussetzung des Familiennachzugs bei Geflüchteten mit subsidiärem Schutz explizit nicht mehr berücksichtigt wird.
Die Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung von Sinti und Roma ist mitnichten ein rein historisches Phänomen, sondern nach wie vor ein brandaktuelles Problem, mit dem Angehörige dieser Minderheit nicht nur, aber vor allem in Balkanländern tagtäglich konfrontiert sind. „Mit der Förderung der Forschungsstelle Antiziganismus setzen wir ein Zeichen – gegen das Schweigen, für die Aufklärung. Damit wird das Land auch seiner historischen Verpflichtung den Sinti und Roma gegenüber gerecht“ – mit diesen Worten ließ sich Ministerin Bauer anlässlich der Eröffnung der Forschungsstelle zitieren. Mit unserem Einsatz für die Familie Ramadani und andere abgeschobene Roma-Familien wollen wir mehr als ein Zeichen setzen – wir wollen aktiv kämpfen gegen das Schweigen und für die Aufklärung darüber, welches Schicksal abgeschobene Roma-Familien erwartet. Mit einem Ende der Abschiebung von Roma in die sichere Diskriminierung würde das Land Baden-Württemberg ebenfalls seiner historischen Verpflichtung den Sinti und Roma gegenüber gerecht – und die Grünen ihrem Anspruch an die Wahrung von Menschenrechten, der zumindest in grauer Vorzeit einmal zu den Grundprinzipien ihrer politischen Arbeit zählte. „Unsere Vision ist eine Gesellschaft, in der die Menschenrechte unteilbar und universell gültig sind und in der Selbstbestimmung in Verantwortung verwirklicht werden kann“ – so steht es zumindest noch im aktuellen grünen Grundsatzprogramm. Wenn die Grünen allerdings weiterhin Roma in die sichere Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung abschieben wollen, wäre es besser, im derzeit zu erarbeitenden neuen Grundsatzprogramm auf solche inhaltsleeren Floskeln zu verzichten.
gez.
AG Asyl – Rohrbach sagt Ja
der punker (Vorstand)
„Die Ramadanis waren unsere Nachbarn und Freunde“
Auf einer Benefiz-Veranstaltung sammelten Rohrbacher Geld zur Unterstützung der abgeschobenen Roma-Familie
von Mirjam Mohr
„Für den kleinen Rafis war es am schlimmsten, dass er mitten in der Nacht von einem Polizisten aus dem Bett geholt wurde. Davon redet er heute noch immer wieder – nachdem er direkt nach der Abschiebung zunächst überhaupt nicht mehr gesprochen hat.“ Es war sehr still im Saal des Evangelischen Gemeindezentrums in Rohrbach, als Franz Maucher erzählte, wie es der Familie Ramadani mit ihren vier Kindern im Alter von drei bis sieben Jahren seit der Abschiebung nach Serbien geht. Rund 50 Interessierte waren zu der Benefiz-Veranstaltung gekommen, mit der die „AG Asyl - Rohrbach sagt Ja“ und der „Punker e.V.“ am 15. April über den aktuellen Stand im Abschiebeverfahren informierten und Geld für die Unterstützung der Familie in Serbien sammelten. Denn Spenden sind im Moment die einzige Einkommensmöglichkeit der sechs Jahre in Heidelberg ansässigen Roma-Familie, die am 17. Januar in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abgeschoben wurde.
Insgesamt 67 Menschen, 52 davon Roma, wurden nach Angaben der „Aktion Bleiberecht“ an diesem Tag per Flugzeug von Baden-Baden nach Belgrad geflogen und dort ihrem Schicksal überlassen – 36 davon waren Kinder unter 14 Jahren. „Die Familie Ramadani ist nur eine von vielen Roma-Familien, aber sie waren unsere Nachbarn und Freunde“, erklärte Valentina Schenk, Punker-Vorsitzende und Mitglied der AG Asyl. Gemeinsam mit Mia Lindemann vom Asylarbeitskreis Heidelberg e.V. gab sie einen Überblick darüber, was Freunde und Unterstützer der Familie seit der Abschiebung unternommen haben, um die Stadt Heidelberg dazu zu bewegen, die Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Aufenthaltsgesetz zu erteilen, wofür die Familie sämtliche Voraussetzungen erfülle. Familienvater Ruzdi Ramadani hätte am Tag nach der Abschiebung eine Stelle antreten können, der Vertrag war unterschrieben; zusammen mit der Arbeitsstelle von Mutter Safidina wäre die Familie damit in der Lage gewesen, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Fakten, die im Widerspruch zu der immer wieder gehörten Darstellung stehen, Ruzdi Ramadani sei weder integrations- noch arbeitswillig.
Doch wie Mia Lindemann schilderte, stehen die Chancen für eine Rückkehr der Familie, deren Kindern Serbien völlig fremd ist, schlecht: „Die Stadt hat sich verschanzt.“ Einen Vermittlungsversuch des Heidelberger SPD-Bundestagsabgeordneten Lothar Binding, der dem zuständigen Regierungspräsidium Karlsruhe vorgeschlagen hatte, der Familie eine Art „Aufenthaltserlaubnis auf Probe“ zu erteilen, habe die Stadt gerade erst abgelehnt. „Wir haben es hier mit einem harten flüchtlingspolitischen Kurs einer Landesregierung zu tun, die weit mehr Roma als jede andere Flüchtlingsgruppe abschiebt“, betonte die Vorsitzende des Asylarbeitskreises Heidelberg. Es bleibe der Eindruck, dass die Stadt Heidelberg in den vergangenen Wochen mehr Energie darauf verwendet habe, eine vermeintliche Integrationsunwilligkeit des Familienvaters nachzuweisen, dessen Frau und Kinder dafür in eine Art Sippenhaft genommen würden, als tatsächlich eine Möglichkeit für deren Rückkehr zu finden. Das stehe in einem eklatanten Widerspruch zum gerade erst gegründeten Antidiskriminierungsnetzwerk der Stadt, das Mitte März ausgerechnet im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma vorgestellt wurde.
Welchen Diskriminierungen die Familie in Serbien ausgesetzt ist, dazu bekamen die Zuhörer anschließend einen aktuellen Einblick: Anhand von Schilderungen von Franz Maucher, der gemeinsam mit seinem Schwager Arno Glum über Ostern die Ramadanis besuchte und ihnen gesammelte Sachspenden und Geld von ihren Freunden und Unterstützern brachte, unterlegt von Fakten aus der AG Asyl über die Situation von Roma in Serbien. Laut dem Jahresbericht 2017 von Amnesty International waren in diesem „sicheren Herkunftsland“ unabhängige Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Verleumdung, körperlichen Attacken und Morddrohungen ausgesetzt. In Belgrad gab es mehrere rechtswidrige Zwangsräumungen von Roma-Siedlungen, Roma werden systematisch ausgegrenzt, was lebensbedrohliche Armut zur Folge hat, und vor allem sie bekommen Willkür und Korruption zu spüren. 97 Prozent der Roma im arbeitsfähigen Alter sind arbeitslos, die wenigen Roma in festen Arbeitsverhältnissen leisten schwere physische und schmutzige Arbeit.
In dieser Situation habe Ruzdi Ramadani bisher vergeblich nach Arbeit gesucht, erzählte Franz Maucher. Auch die Wohnungssuche sei nicht einfach gewesen, die jetzt bewohnte Wohnung sei feucht und verschimmelt gewesen und die Familie habe sie erst mühsam bewohnbar machen müssen – was auch nur dank der Spenden aus der „Heimat“ Heidelberg möglich gewesen sei. Ein Schulbesuch sei für die Kinder bisher nicht möglich – erst fehlten die nötigen Papiere, jetzt, da diese vorhanden seien, reichten die Serbisch-Kenntnisse der Kinder den Angaben zufolge nicht für eine Aufnahme in die Schule. Als Beispiel für die Alltagsdiskriminierung schilderte Franz Maucher die Abweisung bei einer Hilfsorganisation, die Schwierigkeit, einen Zahnarzttermin zu bekommen, und die demütigende Suche nach einem Friseur – nach langer Suche habe sich schließlich ein Friseur gefunden, der allerdings zunächst eine Untersuchung auf Läuse gefordert habe. „Wie demütigend das ist, können wir uns gar nicht vorstellen. Kein Wunder, dass Safidina uns berichtet hat, dass sie sich in Deutschland zum ersten Mal in ihrem Leben respektvoll behandelt gefühlt hat.“ Ein Blick auf Ruzdi Ramadanis bei der Veranstaltung anwesenden Vater Rafis und seine Schwester Sabina – Mitglied des Heidelberger Jugendgemeinderats – ließ erahnen, wie die in Heidelberg verbliebene Familie sich beim Gedanken an die Situation ihrer Angehörigen in Serbien fühlen muss.
Musikalisch untermalt wurde die Veranstaltung vom Musikschulquartett des Musikstudios Weststadt, das bekannte Melodien auf Saxophonen spielte, und dem Duo „Gerda und Ina“, das französische Lieder mit Gitarrenbegleitung präsentierte – wobei alle Musiker zugunsten des guten Zwecks auf Gage verzichteten. Moderator Jürgen Ripplinger von der AG Asyl dankte den Musikern wie auch allen anderen Beteiligten und Zuhörern für ihr Engagement. Dank ihnen kamen 650 Euro zusammen, die ohne Abzug der Familie Ramadani zugute kommen sollen. Wie diese ihren Lebensunterhalt bestreiten soll, wenn das Geld aufgebraucht ist, blieb die offene Frage dieses Tages.
Aus unserer Mitte
zur Abschiebung der Familie R. aus Rohrbach
von Franz Maucher
Seit sechs Jahren lebten sie in Heidelberg, seit 2 Jahren in Rohrbach: ein junges Ehepaar aus Serbien, zwei Töchter, Zwillinge, die noch in Serbien geboren wurden, ein weiteres Mädchen hier in Deutschland, ebenfalls der Jüngste. Inzwischen sind die Kinder 7, 6 und 3 Jahre alt.
Der Vater war in den letzten zwei Jahren in Ausbildung, wollte zuletzt einen neuen Arbeitsplatz antreten, die Vertragsunterzeichnung sollte am 17.1.2018 erfolgen, die Zusage lag vor.
Die Mutter war mit den vier kleinen Kindern voll eingespannt, gesundheitlich oft belastet, hatte im Januar angefangen zu arbeiten. Die beiden älteren Töchter sind gerade im ersten Schuljahr in der Eichendorffschule gut angekommen. Die beiden Jüngeren sind noch im Kindergarten, das Mädchen im Vorschulunterricht, die Schule sollte in diesem Herbst beginnen.
Familie R. war eingebunden, unternahm durch eigene Ausbildung und Förderung der Kinder, mit Unterstützung mehrerer Personen aus dem Stadtteil und den Großeltern nach Kräften das Mögliche, um eine solide Zukunft in Deutschland aufzubauen. Das Bild zeigt die Familie beim Festumzug der 1250 Jahrfeier in Rohrbach. Manchen sind die lebendigen drei Mädchen aufgefallen, wenn sie mit jemandem zusammen unterwegs waren, um in den Wald zu gehen, Spielplätze zu erobern...
Von außen eine ganz normale Familie, der Kinderreichtum fällt in einem Stadtteil wie Rohrbach kaum auf, eher schon die Fremdsprachigkeit. Nach innen war der Alltag aber immer geprägt von den bescheidenen finanziellen Mitteln, den gesundheitlichen Belastungen Einzelner, dem Bestreben alles gut zu machen und vor allem der Gefahr der Abschiebung: um diese abzuwenden war der Druck sehr hoch, immer alles richtig zu machen, um hier in Deutschland dann schließlich eine sichere Existenz aufbauen zu können.
Dann am Mittwoch, 17. Januar, nachts, vielleicht um drei Uhr, alle schlafen: Vor der Tür sammelt sich Polizei (20-30 Beamte?) – Straße gesperrt – Klingeln, Klopfen – Rufe – Aufschrecken der Kinder – Angst – eine halbe Stunde zum Packen - Hektik – die Großeltern kommen noch schnell - Kopflosigkeit – ein Abschied, ein In-den-Armnehmen wird nicht mehr erlaubt - der Großvater abgeführt – die Großmutter kollabiert – Einsteigen – Fahrt durchs Dunkel – Abflug von Baden-Baden nach Belgrad. Am Flughafen abgesetzt, keine Wohnung, kein vertrautes Umfeld, nur ein Unterschlupf bei einem Bekannten.
Hier in Rohrbach: ein leeres Haus, die Großeltern verkaufen Möbel und Hausrat ihrer Kinder, um Geld für deren Existenz in Serbien zu sammeln; im Kindergarten: leere Plätze; in der Schule: leere Plätze, am Arbeitsplatz: Ausfall.
In Belgrad/Serbien: eine Familie, vier kleine Kinder, kaum Geld, keine Kleidung, keine Auffangstruktur, keine Wohnung.
Wer hier keinen Wohnsitz hat, bekommt keine Papiere (Ausweise der Eltern waren abgelaufen). Wer keine gültigen Papiere hat, bekommt i.d.R. keine Wohnung, keinen Schulplatz, keine medizinische Versorgung, keine staatlichen Hilfen, ein Teufelskreis. Wohin gehen mit den akuten Zahnschmerzen? (die Operation wäre in Heidelberg zwei Tage später gewesen) Wohin gehen?
Ob die Abschiebung rechtens war, können wir nicht beurteilen, das haben Juristen zu prüfen.
Ob wir aber in einer Gesellschaft leben wollen, die solch eine Abschiebung legitim findet, ist eine Frage an unser Gewissen und unser Wahlverhalten.
Muss man deutsches Recht wirklich gegen eine Familie mit kleinen Kindern und vor allem in dieser Form, nachts und mit massivem Polizeieinsatz wie gegen Schwerverbrecher durchsetzen – und ohne dass am Zielort eine Auffangstruktur sichergestellt ist?
Wollen wir so eine Gesellschaft sein? Und ist es das, was wir uns unter Würde* und Zivilisation vorstellen?
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* Grundgesetz, Artikel 1
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
Info zu einer Abschiebung in Heidelberg
Für eine Rückkehr der Familie Ramadani nach Heidelberg
von Margret Krannich, Mia Lindemann und Valentina Schenk
Die Familie Ruzdi und Safidina Ramadani und ihre 4 Kinder lebten seit mehr als 6 Jahren in Heidelberg, davon einige Jahre in Rohrbach. Die beiden älteren Mädchen haben 4 Jahre lang den Kindergarten St. Albert besucht und sind seit letztem Schuljahr in die Eichendorff-Grundschule gegangen, die beiden jüngeren Kinder sind in Deutschland geboren und besuchten ebenfalls den St.Albert -Kindergarten. Die Großeltern der Kinder und ihre Tanten wohnen in Heidelberg. Eine der Tanten ist Sabina Ramadani, Mitglied des Jugendgemeinderats in Heidelberg.
Die Familie Ramadani wurde am 17. Januar nachts aus dem Schlaf gerissen und nach Serbien abgeschoben. Die Lage der Roma-Familie in Serbien ist mehr als prekär. Derzeit kann sie nur mit von uns und anderen gesammelten Spenden dort überleben. Die Familie berichtet z.B., dass sie sowohl beim Zahnarzt als auch bei serbischen Hilfsorganisationen abgewiesen wird, da sie der Gruppe der Roma angehört.
Viele Rohrbacherinnen und Rohrbacher und Menschen aus anderen Heidelberger Stadtteilen, die mit der Familie zu tun hatten, sind über die Abschiebung schockiert und betroffen.
Die ‚AG Asyl – Rohrbach sagt ja’ und der ‚Punker Rohrbach’ haben die Initiative ergriffen und zahlreiche Unterschriften für die Rückkehr der Familie gesammelt:
Wir setzen uns dafür ein, dass die Stadt Heidelberg der Familie eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Aufenthaltsgesetz erteilt. Die Voraussetzungen dafür liegen vor: Die Familie ist gut integriert, die Kinder kennen nur ein Leben in Deutschland.
In der Stellungnahme des Kindergartens heißt es z.B.: „Die Eltern haben hier für ihre Kinder ein sicheres und geborgenes Zuhause geschaffen und ein soziales Netzwerk aufgebaut. Freunde, Bekannte und ihre nächsten Angehörigen wohnen hier in Heidelberg, ein Ort in dem sie sich wohl fühlen und fest integriert sind. Sie aus ihrem Zuhause und ihrem Umfeld zu reißen und in ein Land zu schicken, in dem sie keine Zukunft, keine Familie und keine Unterstützung haben, macht uns sehr betroffen. Wir möchten Sie bitten Ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken, da wir sehr um die seelische Entwicklung der Kinder und um ihre Eltern fürchten.“
Herrn Ramadani wurde zwar ein Ausbildungsplatz gekündigt, aber er machte den LKW-Führerschein und hat sich erfolgreich um eine Arbeit bemüht, die der Familie die Existenz unabhängig von staatlichen Leistungen sichert. Ein Arbeitsvertrag war bereits vom Arbeitgeber unterschrieben und Herr Ramadani hätte am 18.1. dort anfangen sollen. Frau Ramadani hat seit Januar ebenfalls gearbeitet.
Ein Antrag auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen für die einzelnen Familienmitglieder gem. § 25 b AufenthG – Bleiberechtsregelung - wurde am 17.1. durch die Anwältin beim Bürgeramt/Zuwanderungsangelegenheiten eingereicht.
Die Stadt Heidelberg hat die Familie Ramadani in der Vergangenheit unterstützt. Wir setzen uns dafür ein, dass die Stadt alle Möglichkeiten, die sie hat, ausschöpft, damit die Familie nach Heidelberg zurückkehren und hier weiter leben kann. Die Familie ist - wie gesagt - bestens integriert. Beide Arbeitgeber, der von Herrn und der von Frau Ramadani, haben erklärt, dass sie bereit sind, die Arbeitsplätze für sie freizuhalten. Die Kindergartenplätze und die Plätze in der Schule stünden ebenfalls zur Verfügung. Es bedarf also nur dieser letzten Chance durch die Stadt Heidelberg, dass die Familie den Erfolg allen Engagements (seitens der Stadt, diverser Helfer und der Familienangehörigen) durch ihre reguläre Berufstätigkeit und die Fortsetzung des begonnenen Bildungsweges der Kinder für alle sichtbar machen kann.
AG Asyl – Rohrbach sagt ja
Kontakt:
Margret Krannich (email: kran.marg@gmx.de, Tel.: 0157 5116 8981)
Valentina Schenk (email: valentina.schenk@live.de, Tel.: 0176 2455 9511)
Franz Maucher (email: franz.maucher@t-online.de
Der punker e.V. unterstützt eine Unterschriftensammlung, die es der Familie erlauben soll, wieder nach Heidelberg zurückzukehren. Wer sich daran beteiligen möchte, kann die Vorlage zur Unterschriftensammlung hier herunterladen.Die Unterschriftenlisten können bei V. Schenk im Burnhofweg 4 eingeworfen werden oder direkt zum Oberbürgermeister, Rathaus, Marktplatz 10, 69117 Heidelberg geschickt werden.