Stadtteilfrühstück 2009 mit Geburtstagsgrüßen
an Frau Kowalczyk vom Litfass …

(21.6.2009)

Von Raabe Hackbusch

Plakat

Ab 14 Uhr regnet es … Vorher darf es nicht. So war es letztes Jahr, so war es dieses Jahr. Wieder hatten wir Glück: Bei bestem Wetter, nicht zu heiß, mit ein bisschen Wind, in der Sonne, unter den Bäumen im Schatten, mit leckeren Speisen, die reichlich mitgebracht wurden, mit gut gelaunten Leuten: So soll es sein, so war es. Es kamen auch einige neu Zugezogene, was uns besonders gefreut hat. Wir hoffen, sie kommen wieder – und werden womöglich aktive Rohrbacher. Prosecco gab’s auch, und viele ausführliche Unterhaltungen … bis um kurz vor 14 Uhr zum Aufbruch geblasen wurde. Dank vieler Helfer klappte es mal wieder, alles vor dem ersten Regenguss kurz nach 14 Uhr wegzuräumen.

Blick auf die Besucher

Blick auf die Besucher

Eine Überraschung für die nicht eingeweihten Gäste gab es auch. Ein paar von uns punkern wussten, dass Anfang Juni ihren 90. Geburtstag feiern konnte. Wir dachten, es sei eine gute Idee, sie zu interviewen. Das habe ich getan – und fand eine Zeitzeugin, von deren Leben mehr Menschen erfahren sollten. Vieles von dem, was mir Frau Kowalczyk erzählte, floss in eine Rede ein, die ich beim Stadtteilfrühstück hielt:

Ursula von Havelenska wurde am 7.6.1919 in Warschau geboren. Sie besuchte eine Privatschule und wurde mehrsprachig erzogen, wie es in ihren Kreisen üblich war. Mit 16 ½ Jahren wurde sie nach Berlin geschickt und besuchte dort eine private Klosterschule. Sie erlebte die Olympischen Spiele 1936 dort in Berlin. Erst 1939, als die politische Lage für sie als Polin zu brenzlig wurde, holte die Familie sie nach Warschau zurück. Von ihrem Haus aus, das in der Nähe des Ghettos lag, konnte sie mitverfolgen, wie verzweifelt die Lage dort war.

1940 wurde Ursula von Havelenska als Zwangsarbeiterin nach Ravensbrück verschleppt, wo sie eingesetzt wurde beim Bau der V2 ( Raketen), die unterirdisch in Bunkern gefertigt wurden. „Zwei Mal in der Woche kamen wir ans Tageslicht“. Durch ihre Deutschkenntnisse wurde sie immer wieder als Übersetzerin gebraucht. „ Dadurch war meine Lage ein bisschen besser als die von anderen Zwangsarbeiterinnen.”

Nach der Befreiung kehrte Ursula von Havelenska aus Angst vor den Russen, die nach Plünderungen ihren Vater und zwei ihrer Schwestern ermordet hatten, nicht nach Warschau zurück. Es folgte eine Zeit in einem Lager der Amerikaner bei Nürnberg, dann Kaiserslautern. Dort arbeitete sie u.a. als Trümmerfrau. „Dann wurde ich für meine Arbeit bezahlt, bekam Lebensmittelkarten , Zigaretten, Schokolade usw.. Wir haben oft den Kindern draußen was abgegeben, die hatten ja noch weniger als wir.“ Im Lager lernte Ursula von Havelenska ihren späteren Mann kennen, auch er aus Warschau. „Wir waren zufrieden, wir hatten mehr als andere. Mehr als essen kann man ja nicht, und Reichtümer wollten wir sowieso nicht.”

Zwischen 1945 und 1950 machten Frau Kowalczyk und ihr Mann mehrere Versuche, sich eine Existenz aufzubauen, u.a. auch in Frankreich, aber dann erreichten sie Heidelberg und dort blieben sie. Sie betrieben zusammen das „ Odeon“ in der Hauptstraße und den „Pferdestall” in der Kettengasse.

Raabe Hackbusch und Achim Stegemann vom punker übergeben Blumen an Frau Kowalczyk …

Raabe Hackbusch und Achim Stegemann vom punker übergeben Blumen an Frau Kowalczyk …

Ihre Mutter, die nach Bayern zog, hat Frau Kowalczyk nach dem Krieg nur noch zwei Mal gesehen. Zwei ihrer Schwestern leben noch, eine in Bayern, eine in Neuseeland. Frau Kowalczyk hat zwei Töchter und einen Sohn. Der Besitz der Familie ging verloren; es blieb ein Haus an der Oder, in dem heute noch 2 Verwandte leben.

In Heidelberg verfolgte Frau Kowalczyk, was die Studenten so trieben und ist noch heute begeistert von der Rote- Punkt- Aktion Anfang der 70er Jahre. Und auch die Studentenproteste heute interessieren sie. „Die Studenten sollen bekommen, was ihr Recht ist”.

Aus dem Litfass, das ihre Tochter seit 22 Jahren betreibt, ist sie nicht wegzudenken. Seit Jahren hat sie uns bedient, wenn wir punker uns nach den Samstagseinkäufen dort trafen.

Immer haben wir sie bei der Arbeit gesehen, nicht nur samstags, sondern Tag für Tag. Nun ist sie – ein Stück weit- im Ruhestand … aber nicht ganz freiwillig. Sie muss. Auf die Frage, wie er ihr bekommt, sagte sie: „Wenn man’s erst mal gewohnt ist, geht’s irgendwie. Aber sich gewöhnen war schwer, sehr schwer.”

Ich war losgezogen für ein Interview- und fand unversehens eine echte Zeitzeugin.

Ein Hoch auf Frau Kowalczyk, die nie ihren Lebensmut, ihre Lebensfreude und ihre Energie verloren hat. Wir wünschen uns, dass wir sie noch lange im Litfass antreffen werden.