„Weit un lischt – un die Sunn im Gsischt”

Hans-Peter Schwöbel im Ochsen

von Ludwig Schmidt-Herb

Was haben wir erwartet, als wir Herrn Professor Dr. Hans-Peter Schwöbel nach Rohrbach einluden? Einen Kabarettisten? Einen Poeten? Einen Dozenten, Ein Mannemer Bloomaul? Von allem etwas – und wir haben es bekommen, jeder das, was er erwartete, und alle noch etwas dazu: ein gutes Stück Kurpfälzer Kultur. Und was zum Lachen. Und was zum Denken.

Schwöbel in Rohrbach, in „unserem” Ochsen – da mußte doch „unser” NaBaKra zur Begrüßung gleich eine neue Strophe reimen: „Wir Musiker sind ungleich schlichter / als dieser große Kurpfalz-Dichter”. Und Hans-Jürgen Fuchs meinte bei der Begrüßung: „Muttersprache als Dialekt und Intellekt gehören hier zusammen.” Wie Wahr!

Der NaBaKra

Schwöbel bestätigte das gleich mit seinem Prolog „Wörter feiern”. Dieses Motto des Dichters Lothar Zenetti nahm er zum Anlass, in einer Kaskade von bedeutungsvollen Wörtern deren Macht und Wirkung darzustellen, die positiv aufbauende, aber auch die negativ verheerende. Und immer mit der Mahnung, genau hinzuhören, was in den Wörtern verborgen ist. „Wie känne ma Wörder feiere? Indem mer versuche, ihne uff de Grund zu gehe. Wommer se langsam oiatme, kenne ma riesche, schmegge, schbiere, dass se e geischdisches Programm biete fers ganze Leewe.”

Der NaBaKra

Dem ließ er eine kleine Wörter-Frage-Runde mit Belohnungen folgen. Aus einer „Guutsl-Kischt” bekam jeder im Saal, der eine Wörterfrage richtig beantwortete, ein Guutsl (=Bonbon) zugeworfen. Als erster wußte der Egers Hans, was ein „Schoppezähler” ist: nämlich der „Gorgelknopp”, der Adamsapfel, an dem jeder Schoppen, der in die Kehle rinnt, vorbei muss. Und „ä Schoppe-Berscht” ist der Schnurrbart, der jeden Schoppen von Mücken und anderen Beilagen reinigt, bevor er in die Gorgel rinnt. „Schnuut un Backe” sind ein Essen, das beim Schlachtfescht aufgetischt wird. Und so ging es dann weiter, auch in den anderen Programmpunkten, wenn dort ein Wort auftauchte, das es wert war, gefeiert zu werden. „Dialekt subversiv, aber mit Leistungsprinzip weitergeben”, nannte er dieses Verfahren, das das Hirn fördere und musikalische Urerfahrungen vermittle.

Der NaBaKra

60 Jahre Baden-Württemberg: Was sind „Verheierte”? Ein Gericht aus Kartoffeln und Spätzle – kam die Antwort aus dem Saal, und das Guutsl folg dorthin – ja, und genau so hat man damals die „Schwoowe und die Franke und die Alemanne in ää Pann g'haue”. Und „Verheierte” heißen deshalb so, weil da zusammenkommt, was nicht zusammen passt. Die Schwaben sind auf Platz 1 beim Fleiß, die Kurpfälzer belegen Platz 1 beim Feiern.

Und was die Kurpfälzer alles feiern: Unversehens schwingt er sich auf und hinein in einen „Kurpfalz-Rap”, der so voll und eng ist von Wörtern, Dingen, Menschen, Orten, Ereignissen und Klängen, „dass eem ganz dormlisch werd im Hern”. Endlich läuft's darauf hinaus: „Mir Kurpälzer leewe gern, bevor mer sterwe. Betonung uff bevor!”. Aber wenn der Kurpfälzer einmal stirbt, stellt er sich das vor wie auf einer großen Rutsche, mitten hinein in „Grumbeersalat, Schwartemage, en gute Schoppe un e schääni Maid – un des alles aagemacht mit pälzer Sprooch”.

Der Dialekt – so der Professor Schwöbel – lebe aus seiner Musikalität. Wem man den Dialekt in seiner Kindheit vorenthalte, dem verweigere man grundlegende Bildung und Kultur. Wer aber früh mit der Muttersprooch gelernt hat, die Wörter zu feiern, dem klingen sie auch in der Hochsprache. Und dann rezitiert er ein Gedicht „Das Rheintal schmeckt nach Früchten, Wein und Brot” - auf hochdeutsch, und mit so viel Gefühl, innerer Musik und lebendigen Bildern, dass man geradezu schmeckt, riecht und hört, was da in Wörtern zum Publikum im Rohrbacher Ochsen herüberströmt.

Der NaBaKra

PAUSE

NaBaKra eröffnet den zweiten Teil des Abends zum Gedenken an die „Verschweizerung” Rohrbachs im 17. und 18. Jahrhundert mit einem „Basler Kuhreigen”, und intoniert dann – als Hommage an Hans-Pater Schwöbel - das jiddische Trinklied „shprayz ikh mir mit gikhe mit gikhe trit”, zu dem der Ochsensaal lauthals mit einstimmt, und weil keiner den Text kennt - klingt's wie Ochsenmaul-Salat.

Der NaBaKra

Nun fährt der Mundartprofessor fort mit einem Seminar zum Thema „Die radikale Gegenwart des Abwesenden oder Was heßd'n »arm droo?«”. Dazu geht er aus von dem „abbene Arm”, der das Fehlen eines Körpergliedes so konkret bezeichnet, dass dessen Abwesenheit in der Anschauung gegenständlich vorhanden ist. „Arm droo” ist aber nun nicht etwa das Gegenteil davon, das wäre „en drooene Arm”, „arm droo” ist einer, der „en abbene Arm” hat und sich damit nicht im Leben zurecht findet. Und nun folgt eine – direkt aus dem Leben gegriffene – Aufzählung von Menschen, die „arm droo” sind, z.B. „die, wo kän Gori, Zaschter, Pulver hänn” (also: kein Geld), aber auch die reichen „Noodlschdreife-Hunne, wo dreißisch Brozend Gehaldserhehung oischdegge un määne, beim Hartz IV gäb's immer noch zu viel Gori”. Nur: wer „arm droo is”, weil er nix hot, kann wenigstens noch klug sein und Kultur haben, wer aber „arm droo is”, weil er „uf ääm Aag € und uffem annere $ babbe hot, dasser nix meh sieht als bloß noch Godd Mammon un sei Wachtum”, der ist dazu auch noch WAX-DUMM. Und er wiederholt: „Waxdum – Waxdumm”, und zieht das Fazit: „Wammer mit derre Sort von Waxdumm weiter mache, simmer bal allminnanna – arm droo.”

Der NaBaKra

Zum Beispiel die mit dem „Händy und FrazeBuch” (????) Ja: Face-Book – Fratze-Buch halt. Ohne das komme doch heute keiner mehr aus. In der Wartehalle im Frankfurter Flugplatz habe er beobachtet, dass von 150 Leuten 50 mit dem Händy telefoniert, die anderen fotografiert, gesimst, gespielt oder gegoogelt haben, und die wenigen, die ihr Händy gerade nicht anhatten, haben es so krampfhaft festgehalten, dass ihre Fingerknöchel ganz weiß waren. „Verglische mit'em Händy is en Rosekranz en zärtlischer Begleiter”. Und noch ein Vergleich: „Verglische mit Handy und FratzeBuch war die Kommune I von 1968 e gemiitlischi Wohnstubb.” Und erst die Steigerung der Selbstveröffentlichung im FratzeBuch: „Heit schmeiße sisch die Mensche naggisch an Leib und Seel in die weltweite Netze. Verglische dodemit is em Orwell sei »1984« en idyllische Heimatroman.”

Der NaBaKra

Reprise: Er kommt noch einmal zurück zum 60-jährigen Jubiläum Baden-Württembergs, genauer: zum Dialog mit seinen „Schwäbischen Brüdern und Schwestern”. Von wegen „Multikulti ist gescheitert” – wir leben mit den Schwaben seit 60 Jahren in einem Staat. Schon Schiller hat das in seiner „Ode an die Freude” ausgedrückt: „Seid umschlungen, Millionen! Diesen Kuß der ganzen Welt!” So viel Lust am Leben hätte man einem Schwaben garnicht zugetraut! „Awwer des hot er g'schriwwe, wu er schun in Mannem war!”

A propos Mannem: Sein einziges autobiographisches Gedicht heißt „Mannemer Fetzä”, und es erzählt seinen Werdegang vom kleinen Mannemer Bub in der Nachkriegszeit, der zwischen Ruinen und Amischlitten aufwächst: „Laschder un Panzer brumme durch die Schdrooße / Neeger am Lenker – schääne, schdarge und große / Isch will aa'n Neeger werre, groß un schdarg un schää / mit dunkle Aache un scheeweiße Zääh”. Später wird der Junge Autoschlosser: „Im Bluut: Eel, Dreck, Benzin, Audoreife / hungrisch dursch Filzbach un Jungbusch streife” - dann aber packt ihn der Ehrgeiz: über die Mittelschule kommt er zur Fachhochschulreife, studiert Sozialwissenschaften, wird schließlich Dr. und Professor – und da steht er nun, der ehemalige „Mannemer Fetzä”, inzwischen Pensionär, aber immer noch „weit un lischt – un die Sunn im Gsischt”.

Der NaBaKra

Er schließt das Programm mit einer schönen Anekdote zum „Däärkemer Worschtmarkt”: In den Ruhr-Nachrichten in Dortmund fand er die Reiseempfehlung: „Fahren Sie doch mal nach Bad Dürkheim auf den Würstchen­markt”! Würstchenmarkt! Dabei ist „Worschtmarkt” ja nur ein Pseudonym. Eigentlich muß es heißen „Dorschtmarkt”, und das hieße dann an der Ruhr wohl „Dürstchenmarkt”. Außerdem kennt der Kurpfälzer in Sachen Essen und Trinken gar keine Verkleinerungsform! „Mir saache Biewl un Männl, Meedl un Bännl, Seppl und Deppl, Schussl un Dussl, Oddl und Loddl – awwer niemols Würstchen und Dürstchen!”

1. ZUGABE! Schwöbel trägt seinen legendären „Kurpfalz-Blues” vor: „Kurpälzisch - des rauscht unn wischbert / Dief unn breet wie unsern Rhoi / Laut isses monschmal - unn leis unn zart / Wanns knischderd / Unn schmeckt im Mund wie roder Woi" – ein Gedicht voller Musik und Poesie, ein Gedicht, das das Herz öffnet und die Sinne weckt, so dass man all die Bilder sieht und die Gerüche riecht und schmeckt.

NaBaKra weiß auch, was dem Publikum ans Herz geht: zur allgemeinen Freude dürfen alle mitsingen beim Badnerlied. Frisch auf! Frisch auf! Frisch auf mein Badner Land!

2. ZUGABE: „Was is des wischdigschde Word in der Kurpalz? Rischdisch: ALLA!” Alla. Alla hat nichts zu tun mit dem arabischen Wort für Gott. Und es kann, je nach Betonung und kommunikativem Zusammenhang, 20 bis 30 Bedeutungen haben. Sei es als Aufforderung: „alla, hopp!”, als Zugeständnis: „alla, gut!”, als einfache Frage: „alla???” oder als Abschiedswort: „alla dann!” - und das ist doch hundertmal schöner als „tschüs”. „Uf Tschüs kann niemand danze. Net emool uf denne Schwoobe ihr Tschüssle. Awwer mir in de Kurpalz hawwa a doo de rischdische Kompromiß g'funne. Mir saage: Alla Tschüs. Do druff kamma mit em Bobbes waggle und dezu danze! Prowwiere Se's mol. Alla Tschüs!”

ALLA DANN !

Der NaBaKra