Braucht Rohrbach ein neues Nahversorgungszentrum?
(November 2010)
von Hans-Jürgen Fuchs
Um was geht es?
Dort wo heute ALDI und ein Getränkemarkt stehen, im Bereich der Sickingenstraße/Felix-Wankel-Straße, soll bald ein neues Nahversorgungszentrum entstehen. ALDI bleibt, wird aber ein Viertel größer als bisher (von 950 auf 1.200 qm). Der nahe gelegene REWE zieht ins neue Zentrum und erhält eine um 900 qm vergrößerte Verkaufsfläche (von 2.500 auf 3.400 qm). Neu dazu kommen ein Drogeriemarkt mit 800 qm und eine sogenannte Shopzone mit 600 qm. Insgesamt soll also die Verkaufsfläche von 4.000 qm (ALDI und REWE heute) auf 6.000 qm steigen.
Um das Zentrum bauen zu können, wird die leer stehende Getränke-Großmarkthalle abgerissen. Ein großer Parkplatz entsteht. Die Kunden sollen den Markt über die Felix-Wankel-Straße und die Sickingenstraße anfahren können, Anlieferer können nur die Felix-Wankel-Straße nutzen.
Der Bezirksbeirat ist gegen das Zentrum …
In zwei Sitzungen hat der Rohrbacher Bezirksbeirat über das geplante Zentrum diskutiert – und die Planungen schließlich abgelehnt. Kritisiert wurde vor allem das nach Meinung der Räte fehlende Verkehrskonzept und mögliche Auswirkungen auf die bestehende Rohrbacher Geschäftswelt.
… und keiner versteht das
Die Ablehnung des Konzepts durch den Rohrbacher Bezirksbeirat hat bei Stadt und Gemeinderäten Verwirrung ausgelöst und Befürchtungen, man habe es mal wieder mit den allgegenwärtigen Verhinderern zu tun. Dabei dachten die Rohrbacher, sie hätten die Ablehnungsgründe im Bezirksbeirat und Bauausschuss, in den der Bezirksbeirat Bernd Knauber als Vertreter geschickt hatte, deutlich gemacht. Dem war wohl nicht so. Entweder haben wir unsere Argumente nicht klar genug formuliert – oder diese stießen auf taube Ohren…
Warum lehnte der Bezirksbeirat die Vorlage ab?
Dafür waren wie gesagt zwei Gründe maßgeblich: Das fehlende, bzw. fehlerhafte Verkehrskonzept und die Befürchtung, das Zentrum könnte das bestehende Gewerbe beeinträchtigen. Außerdem kritisierte man, dass im Verfahren der Bau der geplanten Fußgänger- und Radfahrbrücke Rohrbach – Kirchheim in der Verlängerung der Sickingenstraße abgetrennt wurde. Man vermutete zur Recht, dass sich die Stadt aus finanziellen Gründen von der Brücke verabschieden will.
Zu Beginn des Verfahrens hatte man dem Bezirksbeirat eine Planung vorgelegt, die vorsah, dass der Anlieferverkehr für die damals geplanten vier Märkte und zu einem späteren Zeitpunkt auch für die Firma CNH über die breite und gerade verlaufende Sickingenstraße geführt wird. Heute, 3 Jahre später, wurde von der Stadt Heidelberg eine in der Verkehrsführung geänderte Planung vorgelegt. Der Anlieferverkehr soll nun ausschließlich über die Felix-Wankel-Straße geführt werden. Als Gründe hierfür werden plötzlich wiederentdeckte Starkstromleitungen und ein Obdachlosenheim genannt, dessen Verlegung Geld kosten würde und für das es schwer wäre, einen neuen Standort zu finden.
Die Felix-Wankel-Straße ist aber bereits für den bestehenden Verkehr sehr schmal und zu unübersichtlich. Sie führt zudem mitten durch zwei Wohngebiete, Eichendorff-Forum und Quartier am Turm. Die Führung des Anlieferverkehrs durch diese Straße hätte erhebliche Folgen für Fußgänger, insbesondere Schulkinder, Fahrradfahrer, Autofahrer, Anwohner und Gewerbetreibende.
Die Stadt argumentierte dagegen, ein überarbeitetes Verkehrsgutachten belege, dass gegenüber dem bisherigen Zustand kein großer Verkehrszuwachs beim Anliefererverkehr durch das Nahversorgungszentrum zu erwarten sei. Und auch der Kundenverkehr sei gut zu verkraften. Das Gutachten belegt dies mit Prognosen für die Kreuzungen im Gebiet. Allerdings wurde die wichtigste Stelle, die Einmündung Wankel-/Fabrikstr. im Verkehrsgutachten gar nicht untersucht. Was auch die Gemeinderäte wunderte, die Meinung der Mehrheit aber nicht änderte. Die Bezirksbeiräte hatten dem Konzept keinen Glauben schenken sollen. Immerhin soll in der jetzt bereits stark belasteten Straße künftig eine nahezu dreimal so große Verkaufsfläche zur Verfügung stehen. Ohne Probleme?
Auch die Auswirkungen auf das vorhandene Gewerbe schätzen Stadt und die Mehrheit der Gemeinderäte auf der einen Seite und Bezirksbeiräte auf der anderen Seite unterschiedlich ein. Ein Einzelhandelsgutachten hatte nachweisen wollen, dass es durch das neue Zentrum zu keiner nennenswerten Beeinflussung des vorhandenen Gewerbes kommen würde. Der prognostizierte Umsatz-Umverteilungseffekt lag unter der als Gefährdung angesehenen Grenze von 10%. „Das geplante Nahversorgungszentrum wird damit auch zu einer verstärkten Kaufkraftbindung an einer städtebaulich integrierten Standortlage, welche über einen hohen Bevölkerungsanteil in fußläufiger Entfernung verfügt, beitragen.” Also nicht nur keine Nachteile, sondern ein Vorteil für den Stadtteil?
Die Bezirksbeiräte sahen das anders. In ihrer Sitzung rechneten sie vor, wie das Gutachten durch Ausschluss immer neuer Faktoren die Belastung für das örtliche Gewerbe Schritt für Schritt immer weiter herunterrechnet.
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So setzen ALDI und REWE heute ca. 15,1 Mio. Euro (incl. Aktionswaren, Schreibwaren, Bücher, Blumen etc.). Der Umsatz im Rohrbacher Ortskern beträgt derzeit ca. 9,5 Mio. Euro. Summe also 25 Mio Euro. Das neue Zentrum allein soll ca. 27,8 Mio. Euro Umsatz haben: ein Zuwachs von über 80 %. Wie kommt das Gutachten nun auf weniger als 10% Zuwachs?
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Nun man rechnet zunächst sogenannte „wettbewerbsneutrale Anteile” heraus: Steigerung der Kaufkraftbindung und Zuflüsse aus anderen Stadtteilen. D. h. Man geht davon aus, dass die Leute weniger nach Rohrbach-Süd fahren und dafür mehr vor Ort kaufen und dass zudem auch Menschen aus der Südstadt und Kirchheim hier einkaufen werden.
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Aus 27,8 Mio. werden so 22,2 Mio. Euro „relevante” Umsatzerwartung.
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Davon zieht man nun noch die nicht nahversorgungsrelevanten Anteile ab. Gemeint sind mit diesen „Non-Food II”-Anteil Aktionswaren, Schreibwaren, Bücher, Blumen etc..
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Aus 27,8 Mio. werden so 19,5 Mio. Euro „relevante” Umsatzerwartung.
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Zieht man davon den derzeitigen Umsatz von ALDI und REWE (ebenfalls ohne „Non-Food II”) ab, so bleibt ein Mehrumsatz des neuen Zentrums von 6,05 Mio. Euro.
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Das sind nun immer noch mehr als 10% von 25 Mio. derzeitigem Gesamtumsatz in Rohrbach.
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Aber halt: Rohrbach-Süd gehört ja auch zu Rohrbach. Und dort werden 61,7 Mio. Euro umgesetzt (ob mit oder ohne „Non-Food II” weiß man nicht, dazu schweigt sich das Gutachten aus). Und setzt man den Gesamtumsatz Rohrbachs incl. Rohrbach-Süd (9,5 Mio. im Kern + 61,7 Mio. in -Süd = 71,2 Mio.) in Relation zum nach allen Kürzungen verbliebenen „umverteilungsrelevanten Umsatz” von 6,05 Mio. Euro, so kommt man auf 8,5% Umverteilungsquote.
Da stellen sich viele Fragen: Sind z. B. „Non-Food II”-Waren wie Kleintextilien, Bücher, Schreib- und Spielwaren, Blumen und Aktionswaren” wirklich irrelevant? Was meint unser Buchhändler dazu, was die Bekleidungsläden oder die Schreibwarengeschäfte? Und: welche Umsatzanteile aus Rohrbach-Süd wurden eigentlich berücksichtigt? Außerdem: Kaufen die Menschen wirklich nach Stadtteilen ein? Der Weg nach Rohrbach-Süd ist vom Rohrbacher Zentrum nicht näher als der nach Kirchheim oder auf den Boxberg.
Das Gutachten beweist also … nichts. Die Befürchtungen, dass das bestehende Gewerbe Rohrbachs durch das neue Zentrum geschädigt werden könnte sind m. E. nicht ausgeräumt.
Das Quartier wehrt sich
Und nun? Im Quartier tut man das naheliegende: Man sammelt Unterschriften in der Hoffnung, die Entscheidung in der am 30. September anstehenden Gemeinderatssitzung doch noch beeinflussen zu können. Ob es etwas nützt?